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Der Schaedelschmied

Der Schaedelschmied

Titel: Der Schaedelschmied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lossau , Jens Schumacher
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Art Bühne. Immer wieder taumelten Zwerge aus dem Publikum die Holztreppe hinauf und brachten sich in der Mitte vor einem senkrecht stehenden Stab mit einer trichterförmigen Vorrichtung in Positur. Kurz darauf schallten grauenhafte, kehlige Laute durch das Festzelt. Offenbar handelte es sich bei dem Stab um einen thaumaturgischen Sprachverstärker, eine Art starken Wortwurf, der die Stimme in enormer Lautstärke am selben Ort erschallen ließ, wo sie erzeugt wurde.
    Das hohe, auf- und abschwellende Jaulen, das die Zwerge von sich gaben, tat in Knochen und Gehörgängen weh, aber die Zecher ringsum fanden es augenscheinlich großartig: Sie klatschten so frenetisch Beifall, dass sich Jorge gezwungen sah mitzuklatschen. Offenbar handelte es sich um eine klassische Art des Zwergengesangs, an den seine Trollohren einfach nicht gewöhnt waren.
    Die blonde Kellnerin erschien mit fünf Humpen Bier, die sie mit einer Hand hielt. Klackend stellte sie die Gefäße vor Jorge ab. Alle waren mit lästigen Deckeln versehen, die man vor dem Genuss mit den Daumen nach oben klappen musste. »Das Krügerschwein kommt sofort.« Schon war sie wieder verschwunden.
    Ein neuer Zwerg hatte sich auf der Bühne postiert und stieß sein infernalisches, leierndes Jaulen aus. Die thaumaturgische Stimm Verstärkung war so brachial, dass er sogar die Gruppen singender Zwerge übertönte, die sich ständig irgendwo in der Menge bildeten.
    Jorge spähte erneut zur Rückseite des Zelts hinüber, wo er hinter den Schanktresen mehrere eckige Öffnungen im Fels der Grottenwand ausmachte. Er verengte die Augen und wurde Zeuge, wie eines der Löcher ein kross gebackenes, goldenes Krügerschwein mit einem Apfel im Maul freigab. Die Zwerge verzichteten also selbst in einem Zelt nicht auf Speiseaufzüge. Aber wahrscheinlich war es klug, die Schweine nicht hier drinnen zu grillen. Sowohl Zwerge als auch brutzelnde Schweine benötigten Luft, und davon gab es im Festzelt unter Umständen nicht genug. Unwillkürlich fragte sich Jorge, wie es in den riesigen Küchen zugehen mochte, die es in den Tiefen der Zwergenstadt geben musste und wo in dieser Sekunde im Akkord Krügerschweine zerteilt, aufgespießt, mariniert und gegrillt wurden …
    Um sich von seinem knurrenden Magen abzulenken, ließ er den Blick zurück über die endlosen Reihen von Zwergen schweifen. Überall zwischen den Bänken hockten oder lagen riesige Barlyner Hirten, die Lieblingshaustiere der Zwerge. Allen troff krugweise schleimig grüner Rotz aus den Nüstern. Jorge dachte an seinen Besuch bei Sekretär Hellmuth und daran, wie er fälschlich vermutet hatte, dessen Hund Sabatius sei krank. Offenbar gehörte eitriger Nasenausfluss bei dieser Zuchtform tatsächlich zum guten Ton.
    »Unglaublich«, murmelte er und trank zwei Bier hintereinander ex.
    Es dauerte nicht lange, und sein Krügerschwein wurde gebracht. Bei genauerer Betrachtung war es eher ein Krügerschweinchen, kaum größer als ein fetter Stallhase. Wahrscheinlich wurden die armen Biester einfach nicht größer, wenn sie ihr Leben unter der Erde fristen mussten, überlegte Jorge voller Mitleid.
    »Das macht dann acht Silberkaunaps«, sagte die fette Blonde und streckte eine kurzfingrige, rosige Hand aus. Jorge verschluckte sich an seinem Bier.
    »Meine Fresse!« Er suchte in seiner Lederkluft nach seinem Geldsäckchen. »Billig ist das nicht gerade.«
    »Nun, dies hier ist der Schwelgermarkt«, erwiderte die Zwergin, als sei damit alles gesagt.
    Jorge zahlte. »Ich hätte da noch eine Frage: Was sind das eigentlich für entsetzliche Geräusche, die die Kerle auf der Bühne da drüben fabrizieren? Haben die Schmerzen oder so? Es gibt da ein altes Trollsprichwort, und es geht so: Wenn du Schmerzen hast, betrinke dich, dann hast du nämlich keine Schmerzen mehr.«
    »Das ist ein Wettbewerb«, sagte sie. »Im Knaggeln.«
    »Im Knaggeln. Aha.«
    Die Zwergin lachte. »Verzeihung, Sie sind ja nicht von hier, wie man unschwer sehen kann. Sie sind vermutlich mit dem scheußlichen Kuriositätenkabinett in unsere Stadt gekommen und stammen ursprünglich aus weiter Ferne.«
    »Da stimmte gerade fast jedes Wort.«
    »Das Knaggeln ist ein folkloristischer Volksgesang, es hat eine lange Tradition. Man muss viele Jahre üben, ehe man daran denken kann, sich bei der staatlichen Meisterschaft anzumelden und um den Titel des Barlyner Meisterknagglers zu kämpfen. Aber hier in unserem Zelt darf jeder mal. Die Brüder verurteilen niemanden, der es nur

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