Der Schädelschrank
weder zu begreifen noch nachzuvollziehen. Seine Gedanken spielten verrückt, sie fuhren Karussell. Er bewegte seine Augen sehr hektisch, in der Hoffnung, den einen oder anderen Geist zu sehen, dem die Stimmen gehörten. Sie litten. Sie wollten ihre Köpfe zurückhaben, und als er daran dachte, fing er an zu begreifen.
Die Köpfe waren da. Sie lagen in den Laden versteckt, wobei es den Geistern unmöglich war, an sie heranzukommen.
Er stand fast wieder auf der Türschwelle, ohne dass er etwas bemerkt hatte. Die Botschaft konnte er nicht aus seinem Kopf vertreiben, und er sah auch einen bestimmten Sinn darin.
Jemand, wer immer das auch war, hatte ihn dazu auserwählt, irgendwelchen Gestalten wieder die Köpfe zurückzugeben, die sie verloren hatten.
Sollte er das tun?
Es würde ihn eine irrsinnige Überwindung kosten, die Laden zu öffnen. Dazu brauchte er Mut, und der hatte ihn verlassen, auch wenn es jetzt wieder ruhiger geworden war.
Er hörte nichts mehr. Keine Stimmen. Auch in den mit Schädeln gefüllten Laden blieb es ruhig.
Nachdem einige Sekunden vergangen waren, hatte er sich wieder gefangen. Körperlich war ihm nichts passiert, und auch die Szenerie hatte sich nicht verändert. Nach wie vor stand der Schrank vor ihm, ohne sich zu bewegen.
Kein Wackeln der Schubladen, einfach gar nichts, was ihn jetzt noch hätte stören können, abgesehen von der Erinnerung, die er so leicht nicht loswerden würde.
Er gab sich erneut einen Ruck und bewegte sich auf den Schrank zu. Seine Augen lagen starr in den Höhlen. Die Lippen lagen aufeinander. Er atmete nur durch die Nase, und dann gelang es ihm tatsächlich, seine Gedanken einfach auszuschalten. Er konzentrierte sich voll und ganz auf die neue Aufgabe, zögerte nicht länger und zerrte die Schublade auf, die er sich schon beim ersten Versuch vorgenommen hatte.
Es klappte wunderbar. Sie hakte nicht, er konnte sie aufziehen wie auf Schienen.
Der Blick hinein.
Drei Schädel lagen darin...
Es hatte gepoltert, es hatte gegen das Holz innen gedonnert, und trotzdem war kein Schädel zu Bruch gegangen. Er wollte es kaum glauben, aber es stimmte.
Da war kein Totenkopf zertrümmert worden. Zudem reichte ihm das Licht, um alles genau erkennen zu können. Er konzentrierte sich auf das Gebein und sah tatsächlich keine Risse in den Rundungen der Köpfe. Sie waren mehrmals zusammen gestoßen, ohne dabei zu zerbrechen. Wer die Geräusche gehört hatte so wie er, hatte eigentlich nicht anders denken können, und trotzdem sah er keinerlei Splitter in der Lade.
Beim Luftholen flatterte sein Atem. Er wusste nicht, ob er sich freuen oder entsetzt sein sollte. Es war dem Trödler nur klar, dass hier Kräfte am Werk waren, die einfach an ihn herankamen, ohne dass er sie kontrollieren konnte.
Sein Gesicht fühlte sich verschwitzt an. Die Haut unter dem grauen Haar war es ebenfalls. Phil Young suchte nach einer Erklärung, ohne sie jedoch finden zu können.
Deshalb stand er da, schaute in die offene Schublade hinein und schüttelte den Kopf. Es war einfach zu hoch für ihn.
Phil Young wusste nicht, ob es sich lohnte, auch die weiteren Laden zu öffnen. Einen gewissen Drang spürte er durchaus in sich, aber er wollte die Finger davon lassen. Vielleicht die Tür in der Mitte des oberen Schrankteils.
Es war leicht für ihn, keine Problem im Normalfall. Jetzt aber zitterte seine Hand.
Sei kein Weib!, sagte er sich. Verdammt noch mal, zieh das endlich durch!
Er tat es.
Die Tür schwang ihm entgegen. Young wusste, was er dort zu sehen bekommen würde.
Er irrte sich.
Diesmal verteilten sich keine Schädel auf den drei Brettern. Es lag nur einer dort, und zwar auf dem mittleren Brett.
Und diesen Schädel kannte er. Es war der, den die beiden Polizisten ihm aus dem Kofferraum geholt hatten...
***
Er war ihm bekannt, und er hatte sich trotzdem verändert, denn von dem bleichen Gebein war nichts mehr zu sehen. Es war zwar noch vorhanden, aber es hatte eine andere Farbe bekommen. Der Kopf besaß jetzt einen leicht grünlichen Anstrich.
Zum ersten Mal entwischte ihm ein Schrei!
Der Trödler fuhr zurück und presste sich die Handflächen gegen die Wangen. Dabei schüttelte er auch den Kopf. Was er da sah, war unglaublich. Wieso stand dieser verdammte Totenkopf jetzt an einer Stelle im Schrank, an der er zuvor nie gewesen war?
Auf diese Frage würde er gern eine Antwort wissen, es war nur niemand da, der sie ihm gab.
Langsam sanken seine Hände wieder nach unten. Phil Young
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