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Der Schakal

Der Schakal

Titel: Der Schakal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederick Forsyth
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möglich.« Rodins Tonfall war dennoch eine gewisse Befriedigung anzumerken.
    »Aber warten Sie ab, bis René da ist. Ich habe ihn wissen lassen, daß er um elf Uhr 15 kommen soll, damit Sie beide nicht zugleich eintreffen und mir Viktor aus der Ruhe bringen. Er wird nervös, wenn er zu viele Gesichter um sich hat, die er nicht kennt.«
    Bei dem Gedanken an das, was zu erwarten stand, wenn Viktor mit dem schweren Colt unter der linken Achselhöhle nervös werden würde, gestattete sich Rodin - was nur selten geschah ­ ein schmales Lächeln.
    Es klopfte. Rodin durchquerte das Zimmer und brachte seinen Mund nahe an die Türfüllung:
    »Oui?«
    Diesmal war es René Montclairs Stimme. Sie klang nervös und gepreßt:
    »Marc, um Himmels willen…«
    Rodin riß die Tür auf. Zwergenhaft im Vergleich zu dem polnischen Hünen hinter ihm, die Arme in dessen eisernem Griff, stand Montclair da.
    »Ça va, Viktor«, murmelte Rodin. Kowalsky ließ Montclair los, der erleichtert das Zimmer betrat und eine Grimasse zog, als er Casson sah, der ihn aus dem Sessel neben der Gasheizung angrinste. Rodin schloß die Tür, bat Montclair wegen der ungewohnten Art des Empfangs um Entschuldigung, trat auf ihn zu und schüttelte ihm die Hand. Montclair zog den Mantel aus, unter dem er einen verknitterten, schlechtgeschnittenen dunkelgrauen Anzug trug. Wie so viele ehemalige Militärs nur an Uniformen gewöhnt, wirkten sowohl Montclair als auch Rodin in Zivil alles andere als elegant.
    Als Gastgeber bestand Rodin darauf, daß die zwei Männer es sich in den beiden einzigen Sesseln des Zimmers bequem machten. Er selbst würde auf dem Stuhl hinter dem einfachen Tisch, an dem er zu arbeiten pflegte, Platz nehmen. Zuvor holte er aus dem Ankleideschrank eine Flasche französischen Cognac und hielt sie, indem er seine Besucher fragend anblickte, in die Höhe. Beide Gäste nickten. Rodin goß ein großzügig bemessenes Quantum in jedes der drei Gläser und reichte Montclair und Casson je eines hinüber. Sie tranken stumm, und die beiden Besucher spürten, wie die angenehme Wärme des Alkohols das innerliche Kältegefühl, das sie in diesen Breiten nur selten verließ, zu verdrängen begann.René Montclair, ein untersetzter, kleiner Mann, der sich, den Nacken auf das Kopfende des Bettes gestützt, im Sessel zurücklehnte, war wie Rodin aktiver Armeeoffizier gewesen. Aber im Unterschied zu diesem hatte er nie ein Frontkommando innegehabt. Den größeren Teil seines Lebens hatte er in verschiedenen Armeeverwaltungen verbracht und die letzten zehn Jahre in der Buchhaltungs und Besoldungsabteilung der Fremdenlegion. Seit dem Frühjahr 1963 war er Schatzmeister der OAS.
    Der einzige Zivilist unter ihnen war André Casson. Feingliedrig und von kleinem Wuchs, kleidete er sich korrekt, wie er es als Bankdirektor in Algerien gewohnt gewesen war. Er fungierte als Koordinator der OAS und des CNR in den Großstädten des französischen Mutterlandes.
    Beide Männer galten wie auch Rodin selbst innerhalb der OAS als »Falken«, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. Montclair hatte einen Sohn gehabt, einen neunzehnjährigen Jungen, der vor drei Jahren seinen Militärdienst in Algerien ableistete, während sein Vater die Besoldungsstelle der außerhalb Marseilles stationierten Stamm und Ersatzabteilung der Fremdenlegion leitete. Den Leichnam seines Sohnes bekam Major Montclair nie zu sehen; er war von der Legionärspatrouille, die das Dorf einnahm, in welchem die Guerillas den jungen Soldaten gefangengehalten hatten, im Steppensand begraben worden. Aber später erfuhr Montclair die Einzelheiten dessen, was man dem Jungen angetan hatte. Auf längere Dauer bleibt in der Fremdenlegion nichts geheim. Die Leute reden.
    In Algerien geboren, war André Casson in noch stärkerem Maß als Montclair in die Geschehnisse verstrickt. Sein ganzes Leben hatte um sein Geschäft, sein Haus und seine Familie gekreist. Die Hauptgeschäftsstelle der Bank, für die er arbeitete, befand sich in Paris, so daß er auch nach der Räumung Algeriens nicht stellungslos gewesen wäre. Als es jedoch 1960 zum Aufstand der Siedler kam, nahm er als einer ihrer Führer in seinem Geburtsort Constantine aktiv daran teil. Seine Stellung hatte er dennoch behalten können; als aber ein Bankkonto nach dem anderen geschlossen wurde und die Geschäftsleute mit dem Ausverkauf ihrer Lagervorräte begannen, erkannte er, daß die Tage der französischen Herrschaft in Algerien gezählt waren. Kurz nach dem

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