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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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witterte eine Falle. »Keine Ahnung, Doc«, antwortete er. »Ich habe nie mit ihm gesprochen. Wenn er die Operationen durchsteht, dann ist er zum Leben stark genug. Das ist die einzige Antwort, die ich Ihnen geben kann.«
    »Und wie steht es mit seiner Lebensqualität?«
    »Er muss das Beste aus seinem Leben machen.«

    »Wenden Sie diese Philosophie auch auf sich selbst an?«
    »Darauf werde ich wohl kaum nein sagen.«
    »Warum nicht?«
    »Weil Sie mir dann einen Minuspunkt wegen Depression geben.«
    Willis seufzte. »Ich verhöre Sie nicht, Charles, ich versuche, Ihnen zu helfen. Wir sitzen hier auch nicht in einer Prüfung - Sie werden nicht benotet.« Er faltete die Hände unter dem Kinn. »Sie scheinen seit Ihrer Verwundung das Selbstvertrauen verloren zu haben, und ich bemühe mich herauszufinden, warum.«
    »Ich würde sagen, dass ich heute mehr Selbstvertrauen habe. Früher war mir wichtig, was andere von mir dachten. Jetzt nicht mehr.«
    »Das könnte ich eher glauben, wenn Sie ab und zu den Praxistest machten. Wenn Sie immer nur in Ihrem Zimmer bleiben und jeglichen Kontakt vermeiden, setzen Sie sich ja der Meinung anderer über Sie gar nicht aus.« Er machte eine Pause. »Zur Ironie des Lebens gehört, dass wir alle wissen, wie wichtig der erste Eindruck ist, weil wir selbst danach gehen - und trotzdem möchte keiner von uns allein nach dem Aussehen beurteilt werden.«
    Acland ließ seine Fingerknöchel knacken. »Wenigstens bin ich nicht am ganzen Körper verbrannt«, sagte er unbewegt.
    Willis warf einen Blick in seine Aufzeichnungen und schwenkte ab. »Sie haben wieder über Kopfschmerzen geklagt.«
    »Ich habe nicht geklagt. Ich habe lediglich erwähnt, dass ich welche hatte.«
    »Wo treten sie auf? In der Schläfengegend? Auf dem Oberkopf? Oder hinten?«
    Acland deutete zu seiner linken Stirnseite. »Sie fangen hinter dem Auge an und strahlen nach außen aus. Dr. Galbraith hält sie für Phantomschmerzen, eine Reaktion auf den Verlust des Auges - so wie die Phantomschmerzen, die bei Arm- oder Beinamputierten im Stumpf auftreten. Er meint, im Grund sei es eine
Migräne, und hat mir ein paar Tipps gegeben, wie ich damit umgehen kann.«
    »Gut. Hat er über Ihr MRT mit Ihnen gesprochen?«
    »Über welches?«
    »Das letzte«, antwortete Willis trocken.
    »Er sagte, es sei unauffällig. Warum habe ich das überhaupt gebraucht? Erst wird mir dauernd erzählt, ich hätte keinen Gehirnschaden, und dann ordnet irgendjemand hinten herum die nächste Untersuchung an.«
    »Die Chirurgen brauchen die Aufnahmen. Ein MRT liefert genauere Bilder - es könnte zum Beispiel winzige Blutverklumpungen zeigen, die eine Erklärung für die Migräne wären.«
    Acland musterte ihn einen Augenblick scharf. »Zeigt ein MRT, was der Patient denkt?«
    »Nein.«
    »Schade. Dann könnten wir nämlich diese Gespräche lassen. Sie verschwenden Ihre Zeit mit mir. Ich leide weder an Depressionen noch an Entfremdung - ich langweile mich. Ich will hier nicht sein. Mir fehlt nichts, was nicht mit ein paar Stichen wieder in Ordnung gebracht werden kann. Wenn ich mit meiner Mutter telefoniere, erzählt sie mir endlose Geschichten von Leuten, von denen ich nie gehört habe - und meinen Vater beschäftigt einzig die Frage, welches von seinen Schafen die Fußfäule hat. Mich interessiert das alles nicht. Mich interessiert nicht, dass dem Typen im Nebenzimmer Jordans Titten gefallen. Ich möchte diesen ganzen Quatsch hier nur hinter mich bringen, damit ich zu meiner Einheit zurückkehren kann. Und bevor Sie fragen - nein, ich erwarte keine Wunder. Ich verschwinde hier, sobald sie mich so weit zusammengeflickt haben, dass ich halbwegs vorzeigbar bin.«
    »Das ist eine Menge Zeug für jemanden, der sonst kaum ein Wort über die Lippen bringt. Nein, nach Depression klingt das weiß Gott nicht.«
    »Na also.«

    »Aber Sie verstehen meine Besorgnis über Ihre Rückzugstendenzen, Charles? Wenn Sie sich langweilen, dann tun Sie etwas, werden Sie aktiv. Sie wissen, wo die Turnhalle ist. Die Physiotherapeuten werden Ihnen ein Fitnessprogramm erstellen, das die Übungen, die Sie bereits in Ihrem Zimmer machen, ergänzt.«
    »Das habe ich schon versucht. Hinterher war ich frustrierter als vorher. Ich verbrenne mehr Kalorien mit dem hier« - er pumpte seine Handballen gegeneinander - »als mit ihren lächerlichen Übungen.«
    »Sie haben es nur ein Mal versucht«, sagte Willis milde, »und sind nach einer Viertelstunde gegangen, als ein anderer Patient

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