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Der Schatten des Chamaeleons

Titel: Der Schatten des Chamaeleons Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minette Walters Mechtild Sandberg-Ciletti
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richtete sich auf sie. »Mann, Sie sind echt gut beisammen. Wollen Sie das wirklich probieren?«
    »Kommt darauf an, wie betrunken Sie sind.« Sie griff wieder zwischen den Stäben hindurch, um den Strahl zu den Nieten auf der linken Seite zu führen. »Mal sehen, ob Sie die Hand ruhig halten können.«
    »Total ruhig, wenn ich besoffen bin«, erklärte der Mann und blies ihr eine Alkoholfahne ins Gesicht. »Ich zitter nur, wenn ich nüchtern bin. Geht’s so?«

    »Muss gehen.« Sie umfasste die obere Querstange rechts und links von ihren Stiefeln mit beiden Händen, schob ihre linke Fußspitze auf den höchsten Niet, den sie erreichen konnte, holte tief Luft, stieß sich vom Boden ab und schloss ihre Arme um die Stäbe. »Und jetzt?«
    »Deswegen ist es besser, wenn man dünn ist.« Wieder das leise Lachen. »Sie sind eine echte Hilfe«, bemerkte Jackson sarkastisch, während sie ihr Gewicht auf die rechte Hand verlagerte und mit der Linken ihre Jacke über die Stiefel schob, um einen notdürftigen Sattel zu erhalten. »Hier.« Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche. »Fangen Sie.« Sie warf es zu ihm hinunter, bevor sie ihre rechte Hand wieder um die Querstange klammerte. »Wenn ich mich auf diesem gottverdammten Ding hier aufspieße, dann rufen Sie einen Krankenwagen, bevor ich verblute. Und wackeln Sie bloß nicht mit der Taschenlampe rum.«
    »Sie können einen ganz schön rumkommandieren«, sagte er. »Genau wie meine Alte.« Aber er hatte das Handy mühelos aufgefangen, und der Lichtstrahl blieb auf die Niete gerichtet.
    »Bei so einem Ehemann kann ich ihr das nachfühlen«, gab Jackson zurück. Ihr ganzes Gewicht auf den Händen, schob sie ihren linken Fuß die Mauer hinauf. »Ist ihr jemals Geld für die Kinder geblieben, oder haben Sie alles versoffen?«
    »Für Kinder bin ich nicht lang genug geblieben.«
    Jackson schob ihre Fußspitze auf die nächste Niete. »Ich werde mich jetzt gleich da rüberschwingen. Bereiten Sie sich schon mal darauf vor, einen Satz nach hinten zu machen, wenn ich das Gleichgewicht verliere.« Stöhnend streckte sie ihr linkes Bein, schwang das andere über den provisorischen Sattel und lavierte sich, nachdem sie den Griff gewechselt hatte, mit einer erstaunlich anmutigen Körperdrehung, wie eine Gymnastin, über die Speerspitzen. »Habe sie nicht mal berührt«, sagte sie zufrieden, als sie sich zum Boden hinunterließ.
    Der Penner nickte beifällig. »Nicht schlecht für eine Dicke«, stimmte er zu. »Sie sind eine echte Powerfrau - wenn Sie überhaupt
eine Frau sind.« Er ließ den Lichtstrahl an ihr hinauf- und hinuntergleiten. »Sie sind doch nicht so ein Kerl, der’ne Frau sein möchte, oder?«
    »Nein«, antwortete Jackson, ohne an seiner Frage Anstoß zu nehmen. »Ich habe schon immer eine Muschi.«
    Sie holte ihre Jacke und ihre Stiefel herunter, stieg über die Zigarettenstummel und wischte mit dem Handrücken den Dreck von den Socken, ehe sie ihre Stiefel wieder anzog. Sie hielt dabei die Luft an, um nicht den widerlichen Geruch des Penners einatmen zu müssen. Susan hatte ihr Aclands Geschichte erzählt - wie ein alter Mann von ein paar Mädchen mit Fußtritten malträtiert und von dem einzigen Jungen aus der Clique vollgepisst worden war. So war Susan erst auf den Gedanken gekommen, Charles könnte sich in der Caroline Street aufhalten. Nun reimte Jackson sich zusammen, dass dieser Penner hier vermutlich das Opfer war und, dem Gestank nach zu urteilen, seine Kleider seither nicht gewaschen hatte.
    Sie stand auf und hielt ihm die offene Hand hin. »Das Handy«, sagte sie freundlich. Er gab es ihr, aber die Taschenlampe wollte er noch behalten. Sie wies den Korridor hinunter. »Gehen Sie voraus.«
    Aber er hatte seine eigene Vorstellung davon, wie man eine Dame führte, und ließ es sich nicht nehmen, an ihrer Seite zu gehen, wobei er ihr die eine Hand leicht in den Rücken legte, während er in der anderen die Taschenlampe hielt und ihr den Weg leuchtete. Sie mussten dicht nebeneinander gehen in dem schmalen Gang, und Jackson hatte das unangenehme Gefühl, dass er sie irgendwie zu betatschen versuchte. Er war um einiges kleiner als sie, aber seine Schultern wirkten breit und kräftig, und sie vermutete, dass er jünger war, als er aussah, wenn auch sein Bart von Grau durchzogen war.
    »Wir sind zu dritt«, erklärte er ihr, »ich, ein junger Kerl, der total weggetreten ist, und Ihr Freund.«
    »Wie ›weggetreten‹? Drogen?«

    »Nee, hab ich nie bei ihm gesehen -

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