Der Schatten des Schwans
persönlichen Brief. Die Aktenordner im Bücherregal enthielten Zeugnisse,
Prüfungsbescheinigungen, Planskizzen für Radaufhängungen und verstellbare Zugsitze. Das Material sah nicht gerade aus, als könnte es irgendwelche Industriespione in Versuchung führen, dachte Berndorf. In einem weiteren Ordner fanden sie Beitragsquittungen der SED und später der PDS, Einladungen zu und Protokolle von Sitzungen einer Partei-Betriebsgruppe, dazu Aufrufe zur Gründung einer Görlitzer Arbeitslosen-Initiative.
Der Tintenstrahldrucker von Tiefenbachs PC setzte sich ratternd in Tätigkeit.
»Nö, Kollegen«, sagte der Experte. »Nüscht von Belang. Er hat Bahnfahrpläne drauf gespeichert, ein paar Computerspiele, Texte einer Arbeitslosen-Initiative. Ich lass es ausdrucken. Auch auf den Disketten ist nichts Besonderes. Fahrpläne, und . . . Moment. Etwas ist komisch.«
Er fing an, noch einmal die Disketten durchzusehen, die in mehreren Plastikschachteln abgelegt waren. Dann schüttelte er den Kopf. »Die CD-Rom mit dem Telefonverzeichnis ist weg. Aber er hat eine gehabt. Jedenfalls hat er dafür einen Dateinamen angelegt.«
Rauwolf fragte, ob irgendwelche Informationen versteckt gespeichert sein könnten. Der Fachmann schaute ihn nur mitleidig an: »Wenn ich so etwas nicht finden könnte – wozu hätte ich dann herfahren sollen?« Wenig später kam ein Polizeifotograf und nahm die Regalwand auf.
Um 11 Uhr war Berndorf mit dem Personalchef der Bahnwerke verabredet; Rauwolf hatte das Gespräch noch am Freitag auf Berndorfs Bitte vermittelt.
Sie fuhren durch ein graues Viertel mit leer stehenden Wohnkasernen aus der Zeit der Jahrhundertwende. Dann kamen sie in ein Industriegebiet, von dem Berndorf nicht viel mehr sah als lang gestreckte Mauern und Zäune, hinter denen Schutthaufen lagen. Neben der Straße verliefen Eisenbahngleise.
Dann bogen sie durch eine breite Einfahrt und hielten vor der Rampe eines Verwaltungsgebäudes.
In der Eingangshalle standen Glasvitrinen mit den Modellen von Zügen und Waggons. Eine nur mäßig freundliche Sächsin meldete sie an. Wenig später wurden sie von einer jüngeren Frau abgeholt und mit einem Fahrstuhl in die dritte Etage gebracht. Der Personalchef war ein Westdeutscher, der sie aus eng stehenden Augen musterte. Er steckte in einem Anzug mit hochgeschlossener Weste und trug ein gestreiftes Hemd mit einem weißen Kragen.
Rauwolf erklärte, dass er und sein Ulmer Kollege wegen des Todesfalls Tiefenbach ermittelten: »Wir hätten gerne mehr über den Aufgabenbereich Tiefenbachs gewusst.«
Der Personalchef zog einen Ordner zu sich her. »Ich habe ihn persönlich nicht gekannt«, sagte er. »Er ist vor meinem Dienstantritt hier ausgeschieden.« Soweit er den Unterlagen entnehmen könne, sei Tiefenbach mit der Entwicklung von Prototypen für U- und S-Bahnen befasst gewesen. »Eine reine Luftnummer. Die DDR hat in keiner Weise daran denken können, neue Verkehrssysteme zu installieren. Und auf dem Weltmarkt waren die Bahnwerke in diesem Sektor absolut nicht konkurrenzfähig.«
»Was machen Sie eigentlich jetzt?«, wollte Berndorf wissen.
»Instandsetzungen und Zulieferungen«, sagte der Personalchef. »Und wir arbeiten an einem neuen Typ von Doppelstockwagen. Immerhin gehören wir jetzt zu einem der leistungsfähigsten Unternehmen in Europa.« Mit einer Handbewegung wies er auf das Firmenlogo.
»Gibt es noch Partnerunternehmen, die auf eigene Rechnung arbeiten und kleine Reparaturaufträge für Sie übernehmen?« Der Personalchef blickte verständnislos. »Nein – warum fragen Sie?«
»Tiefenbach hat also keine Möglichkeit gehabt, irgendwo Geld zusätzlich zu verdienen?«
Der Personalchef meinte, dass er das nun wirklich nicht wissen könne.
Berndorf holte aus seiner Aktentasche den Bericht Wasmers. Dann legte er die Klarsichthüllen mit den Materialproben auf den Schreibtisch des Personalchefs. »Ich wüsste gerne, ob das Schrauben und Scharniere sind, die bei Ihnen verwendet werden. Sie haben sicher jemand, der das überprüfen kann.«
Der Personalchef überlegte kurz und griff dann zum Telefon. Wenig später betrat ein grauhaariger Mann in einem blaugrauen Arbeitskittel das Büro. Der Kollege sei der Verwalter des Magazins, sagte der Personalchef. Dann wandte er sich an den Grauhaarigen: »Das sind Herren von der Polizei. Sie wollen wissen, ob dieses Material bei uns verwendet wird.«
Der Magazinverwalter warf ein neugierigen Blick auf die beiden Besucher. Dann nahm
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