Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
wurde nicht mit einem Partner zu Missionen ausgesandt, sondern sie war eine erfahrene und anerkannte Mechanikerin und gehörte somit zu der kleinen Gruppe unter den Wissenshütern, von der die unglaublichen Instrumente und Erfindungen der Alten erforscht wurden. Der Schattenbund verfügte über nur wenige Exemplare, und die meisten dieser geheimnisvollen Überbleibsel waren so kompliziert in ihrer Funktion und Beschaffenheit, dass sie den rückständigeren Bewohnern von Myrial als Wunder oder Magie erscheinen mussten. Syvilda galt als Expertin für unterschiedliche Anwendungsgebiete der Kristalle – soweit es eben möglich war, über eine Erfindung der Alten eingehend Bescheid zu wissen. Doch darüber zu klagen war für Cergorn nichts Neues, ganz zu schweigen von den übrigen Ratsmitgliedern.
»Wenn du jedes Mal zu träumen anfängst, wenn ich diesen verflixten Luftgeist erwähne, dann kann es wohl als ziemlich glückliche Fügung gelten, dass sie körperlos ist und ich nicht eifersüchtig bin«, brummte Syvilda.
»Eigentlich habe ich über die Alten nachgedacht«, entgegnete Cergorn und nahm sie in den Arm. »Ich frage mich, warum sie uns in solch beklagenswerter Unwissenheit zurückgelassen haben. Jedes Quäntchen Wissen, das der Schattenbund besitzt, musste ihnen nachträglich abgerungen werden. Und nach Jahren voller Mühsal, nach langen Reisen und endlosem Suchen haben wir lediglich die Oberfläche angekratzt. So viele Stunden haben wir mit Studien und Experimenten verbracht, nur um zu begreifen, wie wenig wir tatsächlich wissen!«
»Mein liebster Cer, was denkst du dir eigentlich?« Syvilda zog die Augenbrauen hoch. »Hast du noch nicht genug zu kauen, dass du dir auch noch diese alte Geschichte vornehmen musst? Der Schattenbund beklagt seine Unwissenheit seit dem Tag seiner Gründung, und wir werden dies zweifellos auch weiterhin tun, bis unsere verdrehte Welt ringsum auseinander bricht – was im Augenblick wohl jeden Tag geschehen könnte. Wenn du mich fragst: Je eher Thirishri zurückkommt, desto besser. Unter uns gesagt, gemeinsam bringen wir es gewöhnlich fertig, dich im Zaum zu halten!«
»Dem schließe ich mich an«, seufzte Cergorn. Gendival erschien ihm einsam ohne Thirishri. Obwohl seine Familie für ihn da war, ihn tröstete, beriet und unterstützte, vermisste er seine Partnerin. Eine tiefe Bindung war in den Partnerschaften der Wissenshüter zwangsläufig angelegt, eine einzigartige Nähe, die aus gemeinsam erlittener Entbehrung, Not und Gefahr entstand. »Weißt du«, meinte er, »Thirishris Abwesenheit ist mir eine willkommene Lehre. Vielleicht habe ich Elion doch ein wenig zu hart behandelt.«
»Das bezweifle ich«, antwortete Syvilda nachdenklich. »Er hat sich zu tief in seine Trauer vergraben, Cergorn. Er ist auf dem besten Wege, sein Andenken an Melnyth zur Besessenheit werden zu lassen. Ich bin der Ansicht, dass du ihn gerade zur rechten Zeit aufgerüttelt hast. Jetzt hat er zu viel zu tun, um andauernd an seine tote Partnerin zu denken. Ich bin jedoch sicher, dass Elions Trauer um Melnyth noch lange unvermindert anhalten wird, und das müssen wir einplanen. Sie wird sein Urteilsvermögen und seine Beziehung zu den anderen Mitgliedern beeinträchtigen, besonders die zu Veldan und Kazairl.«
»Du hast vollkommen recht. Leicht wird es keinesfalls, für niemanden.« Cergorn wusste, dass er ein heikles Unternehmen in Gang gesetzt hatte, indem er die drei Überlebenden der gefährlichen Kundschaftermission bei den Ak’Zahar wieder vereinte. Doch seit die Schleierwand immer durchlässiger wurde, befand sich der Schattenbund in einer verzweifelten Lage, und Cergorn hatte keine andere Wahl. Während er neben seiner klugen Lebensgefährtin lag, versuchte er die Stärken und Schwächen der drei Wissenshüter einzuschätzen.
Veldan hätte auf allen Missionen die perfekte Wissenshüterin sein können. Sie besaß Mut und eine unbarmherzige, raue Entschlossenheit, die sie die härtesten Torturen überstehen ließ. Dazu verfügte sie über eine wache Intelligenz und war eine todbringende Kämpferin. Ihre zarte Gestalt täuschte darüber hinweg, wie drahtig und kräftig sie in Wirklichkeit war. Unglücklicherweise war sie infolge ihrer Verwundung aus der Übung und erschöpfte noch immer sehr rasch. »Eigentlich war es ein Fehler, zur Begleitung des Sehers Veldan auszusuchen«, sagte Cergorn schweren Herzens.
Syvilda nickte ernst. »Das ist wahr. Es war zu früh. Doch sie bestand so
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