Der Schattenbund 01 - Das Herz von Myrial
gab Cergorn es auf, schlafen zu wollen, und stahl sich mit übertriebener Vorsicht aus dem Bett, um seine schlafende Gefährtin nicht noch einmal zu wecken. Dann schlich er sich aus dem Haus. Draußen war es noch dunkel, das Tal in Indigo und Schwarz getaucht. Nur über dem spiegelglatten See lag ein kupferfarbener Schimmer. Die zerstreut stehenden Wohnhäuser und Werkstätten bildeten große dunkle Flecken in der Talsohle und kleinere am Rand der bewaldeten Hänge. Die niedrigen lang gestreckten Häuser aus dem grauen Gestein der Gegend fügten sich harmonisch in die Schönheit der Landschaft. Die Siedlung entsprach in ihren verschiedenen Formen und Größen nicht nur den unterschiedlichen Bedürfnissen ihrer Benutzer, sondern sollte auch ein gefälliges Abbild der Artenvielfalt auf Myrial darstellen. Und nur die phallische Gestalt des Nachrichtenturms am Seeufer überragte alle anderen Gebäude und zeigte wie ein Finger zum Himmel hinauf.
Der Turm war fortwährend von den Horchern besetzt, einer Gruppe Wissenshüter, die wegen ihrer ausgeprägten telepathischen Fähigkeiten ausgesucht und besonders für Zusammenarbeit und gegenseitige Verstärkung ihrer Kräfte geschult worden waren. Ihre Aufgabe bestand darin, ein ständiges telepathisches Feld aufrechtzuerhalten, mit dem sie eventuelle Nachrichten von unterwegs befindlichen Agenten empfingen, ganz gleich wie entfernt oder wie schwach sie auch sein mochten. Beim Anblick des Turms, der still zu warten schien, kehrten Cergorns Gedanken wieder zu Elion und dessen Mission zurück. Es war noch zu früh für Nachrichten von Thirishri. Sie würden erst am nächsten Tag nach Callisiora gelangen, und wer weiß, was sie dort erwartete. Der Archimandrit hoffte, dass Elion stark genug sein würde, um seine Krise zu überwinden.
Die ausgedehnte vulkanische Höhle lag tief im Herzen des Berges. Darin war es dunkel wie im Bauch eines Dämons und erstickend heiß. Das einzige Licht stammte von dem Lavasee, der in unermesslich scheinender Tiefe kupfrig glühte. Beißender Rauch stieg aus dem sengenden Abgrund und brannte in den Augen, dass sie tränten.
Gemeinsam mit Veldan und Melnyth kroch Elion einen schmalen Felsvorsprung entlang, der auf dieser riesigen Höhlenwand nicht mehr äs ein Riss zu sein schien. Sie konnten sich nur hintereinander auf allen vieren fortbewegen; Kazairl hatten sie zurücklassen müssen. Er bewachte nun den Höhleneingang und hielt ihnen den Rücken frei. Der Feuerdrache hatte heftig dagegen protestiert dass seine Partnerin ohne ihn ging, und das gedämpfte Grummeln seiner unglücklichen Gedanken drängte sich beständig in Elions Kopf und war eine unwillkommene Dreingabe zu der Anspannung, die er wegen der drohenden Gefahr empfand.
Melnyth kroch an der Spitze. Als die kampferfahrenste der drei hatte sie darauf bestanden, die riskanteste Stellung einzunehmen. Elion folgte ihr, und Veldan bildete den Schluss. Er hörte ihren Atem hinter sich, der rau und schnell ging. Wie verletzbar sie sich fühlen musste: Sie hatte ihren Partner nicht zur Seite.
Der Angriff kam mit unbegreiflicher Schnelligkeit. Von einem Augenblick auf den nächsten stürzten sich drei Ak’Zahar auf lautlosen Schwingen aus der Dunkelheit unter der unsichtbaren Felsenkuppel herab. Auf den heißen Luftströmen, die vom Lavasee aufstiegen, rasten sie heran, und bevor Elion einen Pfeil in den Bogen legen konnte, war schon einer aus der Gruppe ausgeschert und wieder in der Tiefe des Berges verschwunden, um Alarm zu schlagen. Ihre einzige Chance hatte in dem unentdeckten Eindringen bestanden, und die war nun vertan. »Zurückziehen!« rief Melnyth. »Wir haben’s vermasselt!«
Die blutroten Augen der Ak’Zahar leuchteten, und ihr stinkender Atem zischte durch die spitzen Zähne. Ihre graue Haut spannte sich wie rissiges Leder über den langen, scharfkantigen Schädel. Als Elion den Pfeil einlegte, sauste eine Steinbola durch die Luft, wickelte sich um seinen Bogen und entriss ihn seiner Hand. Elion griff verzweifelt zu, und die wirbelnde Kugel zerschmetterte ihm die Finger. Er hörte das Knacken der Knochen, und im nächsten Moment traf ihn der Schmerz wie ein Hammerschlag und zwang ihn in die Knie.
Veldans Schuss ging daneben, weil sie Elion von der Felskante riss. Dann, als Melnyths Pfeil sein Ziel fand, gellte ein Schrei durch die Höhle, und einer der Vampire fiel wie ein Stein in die Tiefe. Melnyth wich geduckt einer heranschwirrenden Bola aus, die über ihrem Kopf gegen
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