Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
wieder Pickel blühten, seine Haare, die immer und überall in die Höhe standen. Dass er von seiner Tante Agella die kupferrote Farbe geerbt hatte, half auch nicht sonderlich. Er seufzte wieder.
Das ist wirklich ungerecht. Wie soll ich jemals bei Rochalla ankommen?
Mit Grimms Schimmel, der das gefesselte Scheusal auf dem Rücken trug, am Zügel hinter sich, ritten sie durch den Nachmittag und in den frühen Abend hinein. Die Sonne hatte wohl noch eine Strecke vor sich, aber sie begann sich bereits zu färben, und das Licht erhielt einen dunklen Goldton. Die drei Reiter gelangten über einen gewundenen Weg von der Höhe des Heidelands in ein Tal hinab. Auf einer Seite stiegen grüne Hänge an, auf der anderen war die Talsohle von einem Baumgürtel verdeckt. Über den Wipfeln sah man das spitze Dach eines runden Turmes herausragen.
Der Weg machte eine scharfe Biegung und führte durch bebaute Felder, dann durch ein Dorf, wo er die einzige Straße bildete. Die Häuser waren aus hellem grauem Stein und völlig anders als die Bauten in Tiarond, die über die Jahrhunderte hinweg vom Rauch zahlloser Schornsteine verschmutzt waren. In Größe und Form waren sie alle verschieden, jedoch gefällig anzusehen und einladend und verbanden sich miteinander zu einem wohltuenden Anblick. Türen, Fensterrahmen und Läden waren in fröhlichen Farben gestrichen, und auf den Simsen wuchsen leuchtende Blumen in langen Blumenkästen. Die Kinder auf der Dorfstraße unterbrachen ihr Spiel, um den Reitern neugierig nachzublicken, und die Erwachsenen, die zu verschiedenen Besorgungen die Straße hinauf- und hinuntereilten, blieben stehen, um mit offenem Mund den schrecklichen Raubvogel anzustarren. Scall entging dabei nicht, wie gern sie Kher gefragt hätten, was das zu bedeuten hätte, aber alle bewahrten achtungsvolles Schweigen.
»Da sind wir«, sagte Kher auf die Umgebung deutend. »Endlich zu Hause. Scall, du wirst für eine Weile im Gasthof bleiben. Sie werden dir etwas zu Essen vorsetzen und sich um dich kümmern, und du kannst dich ausruhen. Du hast, soviel ich weiß, in der vorigen Nacht keinen Schlaf gehabt. Kalt, du kommst mit mir. Der Archimandrit will dich sofort sehen.«
Scall schluckte. Der frisch gewonnene Mut verließ ihn urplötzlich, als er hörte, dass die einzigen zwei Menschen, die er an diesem Ort kannte, ihn allein lassen und einem Haufen fremder Leute ausliefern wollten.
Kher klopfte ihm auf die Schulter. »Mach dir keine Gedanken, Junge«, sagte er. »Olsam und seine Tochter Ailie sind brave Leute. Sie werden es dir gemütlich machen, und Ailie ist die beste Köchin im ganzen Tal. Ich komme so bald wie möglich zu dir – aber ich warne dich, wenn du erst einmal von Ailies Kirschkuchen gekostet hast, wirst du nie wieder fort wollen.«
Er lachte Scall an, der sich schon wieder besser zu fühlen begann – besonders wenn er seine Lage mit der von Kalt verglich. Der Überbringer knetete mit rastlosen Fingern die Mähne seines geduldigen Pferdes und schoss ängstliche Blicke nach allen Seiten. Sein blasses Gesicht hatte einen grünlichen Stich bekommen. Scall fühlte mit ihm.
Ich weiß ja nicht, was dieser Archimandrit für einer ist, aber ich bin froh, dass es Kalt ist, den er sehen will.
Er bemühte sich, nicht daran zu denken, wer vielleicht mit ihm irgendwann würde sprechen wollen.
Wenigstens können sie auf mich nicht böse sein. Es ist nicht meine Schuld, dass ich hier bin.
Der Gasthof war das große Haus am Ende der Straße. Mühsam entzifferte Scall die Worte Zum Greifen auf dem Schild und bestaunte das darauf abgebildete Tier, das einen Adler mit vier Raubtierpranken darstellte. Kher stieg kerzengerade vom Pferd und hakte seinen Gehstock vom Sattel. »Warte hier einen Moment, Kalt, und halte ein Auge auf dein Ungeheuer. Ich bringe Scall hinein und bin gleich wieder zurück. Dann reiten wir zur Siedlung weiter.«
Kalt wollte lächeln, aber es wurde eine Grimasse. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Ich habe keine Eile.«
Kher gab ihm im Vorbeigehen einen Klaps auf den Oberschenkel. »Kopf hoch, Mann. Amaurn wird dich nicht fressen.«
»Wie kannst du das denn wissen?« Kalts Tonfall hatte eine gewisse Schärfe. »Du hast ihn ja noch gar nicht gesehen.«
Kher blieb stehen und sah zu ihm hinauf. »Weil er ein alter Freund deines Lehrers gewesen ist«, antwortete er ruhig. »Um Grimms Willen wird er dich freundlich behandeln, soviel kann ich dir versichern.« Er drehte sich zu Scall um. »Bist
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