Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
beschuldigen, und rannten weg – obwohl es Scall nicht ähnlich sieht, keine Nachricht zu hinterlassen.« Er zuckte die Achseln. »Hoffentlich bringen wir aus Presvel die Wahrheit heraus – ehe ich ihn umbringe.«
Es setzte ihr sehr zu, ihn so von einem Mann reden zu hören, der jahrelang ihr Freund und Vertrauter gewesen war. Cetain, dem nichts entgangen war, kam zwischen sie und legte Seriema eine Hand auf den Arm. Tormon sah die Geste und blickte stirnrunzelnd auf die beiden herab. »Ihr beide scheint ja plötzlich dicke Freunde zu sein. Geht da irgendetwas vor, wovon ich noch nichts weiß?«
»Ja«, antwortete Cetain. »Ich habe Seriema gefragt, ob sie meine Frau werden will, und sie hat ja gesagt.«
Tormon sah die beiden für einen langen Moment an, und seine Miene verriet nichts. »Meinen Glückwunsch«, sagte er dann kalt, spornte sein Pferd an und setzte sich an die Spitze der Reiter.
Seriema sah ihm kopfschüttelnd nach. Da sein eigenes Leben in Scherben lag, war es vorerst zuviel von ihm verlangt, sich über das Glück anderer zu freuen.
Armer Tormon. Seine Frau kann ihm keiner mehr zurückbringen, aber wir müssen ein Mittel finden, um seine Tochter zu retten. Wenn uns das misslingt, wird es sein Ende sein.
Rochalla hatte sich vielleicht ein bisschen mehr gefürchtet, als die fliegenden Ungeheuer über Tiarond herfielen, aber da war es nur darauf angekommen, wegzurennen. Was ihr jetzt von allem am meisten zusetzte, war der Umstand, dass eben jener Mensch, der seinerzeit ihr Beschützer gewesen war, jetzt ihr Leben bedrohte.
Alles war so schnell gegangen. Als Presvel dem Kind das Messer an die Kehle drückte, hatte sie ihm fassungslos gehorcht, war außerstande gewesen, für sich oder das Kind auf Rettung zu sinnen. Nun, da sie immer tiefer in Gefahr geriet, begann ihr Verstand wieder zu arbeiten – aber welchen Zweck hatte es noch? Es war längst zu spät. Wenn sie nichts tun konnte, um sich und Annas in die Festung zurückzubringen, welche Hoffnung gab es dann noch für sie, allein mit einem hilflosen Kind und einem Verrückten in dieser düsteren Einöde? Denn es bestand kein Zweifel mehr, dass sie es mit einem Verrückten zu tun hatte. Ihre einzige Hoffnung, sich und Annas durch diesen Albtraum zu bringen, war, Presvel davon zu überzeugen, sie sei auf seiner Seite – ganz gleich, was es dafür zu tun galt.
Ich muss Annas retten, ganz gleich, was aus mir selbst wird. Tormon hat schon so viel verloren – er könnte es nicht ertragen, wenn seinem kleinen Mädchen etwas zustieße.
Sofort war sie mit ihrer Sorge bei dem Kind. Annas trug weder Mantel noch Umhang, und der Tag war bitterkalt. Ihrer Haut sah man die Kälte bereits an. Noch beängstigender war jedoch, dass sie in dieselbe dumpfe Reglosigkeit verfallen war wie nach dem Tod ihrer Mutter. Presvel hatte sie vor sich auf den Sattel gesetzt, und dort saß sie wie eine Puppe mit gläsernen Augen, ohne die Umgebung wahrzunehmen. Es war, als habe sie sich zum zweiten Mal von der Welt ausgeschlossen.
Rochalla hatte Mühe, ihren Hass auf Presvel nicht sichtbar werden zu lassen.
Wie konnte er das nur tun? Wie kann er es wagen? Die arme Kleine hatte gerade wieder Vertrauen gefasst. Der Himmel weiß, wie schlimm es sich diesmal auswirkt.
Falls wir überleben.
Wusste Presvel überhaupt, dass die Ungeheuer schon bis in die Heide vorgedrungen waren? Kümmerte es ihn? Selbst wenn sie von den Scheusalen unbemerkt bis Tiarond kämen, was sollte dann werden? Glaubte Presvel wirklich, er könnte an einem Ort leben, wo es von diesen Tieren nur so wimmelte? Hatte er sich überhaupt Gedanken gemacht? Oder rannte er einfach nur davon?
Nach einer Weile beschleunigte Presvel seinen Ritt, und Rochalla war eine Zeit lang zu sehr damit beschäftigt, mit ihrem Pferd zurecht zu kommen, als dass sie sich ihren Gedanken widmen konnte. Presvel war beileibe kein guter Reiter, aber was er konnte genügte. Sie dagegen war vorher noch nie geritten. Es war ein großer Unterschied, auf einem Pferd mitgenommen zu werden oder selbst zu reiten. Sie wusste nicht, wie man die Zügel hielt, wie man richtig saß und die Erschütterungen ausglich, darum rutschte und hüpfte sie im Sattel hin und her, ständig in der Gefahr zu stürzen, und hielt sich nur oben, weil sie sich an den Sattel klammerte, als ginge es um ihr Leben. Ihr Pferd, das wie alle Tiere spürte, wer der Herr und wer der Knecht war, war es schließlich müde, dem Stallgefährten zu folgen, blieb einfach
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