Der Schattenbund 03 - Das Auge der Unendlichkeit
können? Und was würden sie ihm antun, wenn sie die Wahrheit erfuhren? Der ehemalige Archimandrit war noch am Leben und hatte Verbündete. Die Anhänger des Neulings würden schwinden wie Schnee in der Frühlingssonne, wenn sich herausstellte, dass er als Hauptmann in Callisiora den Ring des Hierarchen mit einer Fälschung vertauscht hatte. Der Zusammenbruch der Schleierwand hatte zu jener Zeit begonnen, und es konnte kein wie auch immer gearteter Zweifel bestehen, dass zwischen den beiden Ereignissen ein Zusammenhang bestand.
Das ist ein Albtraum! Irgendwie muss ich meine Fehler wiedergutmachen, ehe sie entdeckt werden – doch wie kann ich das, wenn diese dumme Närrin Gilarra den echten Ring hat fallen lassen und die dreckigen, diebischen Ak’Zahar ihn mir vor der Nase weggeschnappt haben? Ich sehe nicht, wie es möglich sein soll, ihn zurückzubekommen, und ohne ihn weiß ich den Schaden an der Schleierwand nicht zu beheben.
Trotz allem fällt das ganze Unheil in meine Verantwortung. Ich muss einen Plan fassen, und zwar schnell, damit wir diese schwierige Zeit überstehen. Und wie immer der Plan aussieht, er sollte verflucht gut sein. Vielleicht ist es ganz richtig, dass ich Veldan geschickt habe, um Zavahl zu holen – denn was wir jetzt brauchen, ist ein Wunder. Ich habe nicht viel Hoffnung, dass sein hochgeschätzter Myrial etwas ausrichten kann, aber der Drache wird hoffentlich nützlicher sein.
In der Zwischenzeit gab es einiges zu erledigen, und Amaurn warf ein paar Anmerkungen aufs Papier. Wenn auch gegen die Wetterkapriolen kein Kraut gewachsen war, so müsste man doch sicherlich den Eindringlingen durch die Schleierwand begegnen können. Zu allererst musste er Vaure bitten, die wenigen anwesenden Wissenshüter zu sammeln, die fliegen konnten. Die Grenzen von Gendival mussten von Posten bewacht werden, damit kein Ak’Zahar hindurchgelangte. Er brauchte einen Dienstplan von allen Spähern in und außerhalb Gendivals. Die Horcher würden gruppenweise Tag und Nacht im Einsatz bleiben müssen, um die Schattenbundmitglieder ausfindig zu machen, von denen man längere Zeit nichts gehört hatte. Von den zurückgezogen lebenden Wissenshütern sollten einige nach Gendival kommen, um zu arbeiten und gesündere für den Dienst außerhalb frei zu machen, und die, die in der Schulung am weitesten fortgeschritten waren, könnten sofort in den Dienst eintreten, vielleicht zusammen mit einem erfahrenen Partner.
Ein Rat aus Handwerkern und Gelehrten war zu bilden, damit er anhand der verbotenen Künste der Alten geeignete Hilfsmaßnahmen für die Kranken und Hungernden ausarbeitete – doch wenn die jüngsten Ereignisse Amaurn eines gelehrt hatten, dann war dies Vorsicht beim Eingreifen in das Gleichgewicht der Welt. Alle Kenntnisse und Erfindungen hatten gegenwärtig noch in der Hand der Wissenshüter zu bleiben und sollten nur eingesetzt werden, solange die Krise andauerte. Später dann – sofern es ein später gab – war genug Zeit, um die Auswirkungen auf die Reiche im Einzelnen zu untersuchen und mit Muße zu entscheiden, welche Kenntnisse wo freizugeben wären.
Vielleicht könnten die Navigatoren dabei helfen, Nahrung und Heilmittel in die betroffenen Gebiete zu bringen – allerdings würde es schwierig werden, beides in ausreichender Menge zu beschaffen …
»Amaurn? Amaurn? Bist du da? Kannst du mich hören?« Der schwache Ruf, der die Überlegungen des Archimandriten unterbrach, kam nicht über die Horcher zu ihm, und das bedeutete, dass einer seiner geheimen Anhänger entweder die Neuigkeit von seiner Rückkehr nicht erhalten oder dass er ihm etwas mitzuteilen hatte, das kein anderer erfahren durfte. Amaurn stach sofort die Neugier des alten Zaubervolks.
Sie haben uns unserer Magie beraubt, aber unsere wesentlichen Eigenschaften konnten sie uns nicht wegnehmen.
»Ich höre«, antwortete er. »Wer ist da?«
»Ich bin es, Grimm. Amaurn, ich habe umwerfende Neuigkeiten für dich …«
»Ich auch für dich, alter Freund. Du sprichst mit dem neuen Archimandriten des Schattenbundes.«
Von dem alten Überbringer kam eine Woge der Freude. »Gut gemacht! Du hast deine Zeit nicht vergeudet, wie ich sehe. Gab es irgendwelche Schwierigkeiten?«
»Tatsächlich war es viel leichter, als ich erwartet hatte.« Während sich die Antwort in seinem Geist bildete, zuckten ihm die Erinnerungen durch den Kopf: wie Cergorn ihn das Breitschwert schwingend angriff, wie ihn der Huf des Zentauren an der Hand traf, der
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