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Der Schattenjäger (German Edition)

Der Schattenjäger (German Edition)

Titel: Der Schattenjäger (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Moriarty
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Café Metropol legte keinen Wert auf Äußerlichkeiten. Zum einen waren sie alle eher arm, und zum anderen waren sie viel zu beschäftigt: Sie entwarfen Pläne für das kommende Paradies der Magischen Werktätigen, sie brüteten über den Geheimnissen der Theoretischen
Kabbala
oder sie schrieben gerade am nächsten Meisterwerk für das jiddische Theater. All diesen Tätigkeiten konnte man problemlos in alten, zerknitterten, tintenfleckigen Kleidern nachgehen. Aber dennoch –
    »Wer ist denn das da?«, fragte Lily und stieß Sascha mit dem Ellbogen an.
    Sascha folgte Lilys unverwandt starrendem Blick, und erkannte mit Schrecken, dass Onkel Mordechai schon von seinem Stammplatz in der Ecke aufgestanden war und sich mit ausgestreckter Hand und einem breiten Lächeln auf sie zubewegte. Sascha blickte zu Wolf, der Gott sei Dank mit dem Mann an der Bar im Gespräch war, und machte hinter Lilys Rücken seinem Onkel dramatische Zeichen.
    Mordechai verstand und hielt inne. Aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, um dann, wie wenn nichts gewesen wäre, den eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
    »Gehen wir«, drängte Sascha und wollte Lily hin zu Wolf und weg von Mordechai ziehen.
    »Warte doch mal –«
    »Guten Tag«, grüßte Mordechai mit samtener Stimme. Sascha drehte sich um und sah gerade noch, wie sein Onkel schwungvoll den Hut über seinen glänzenden Locken lüftete und Lily sein charmantestes Lächeln schenkte. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?«
    »Oh! Äh! Pff!« Lily öffnete und schloss den Mund wie ein Fisch auf dem Trockenen, war aber nicht in der Lage, etwas Vernünftiges zu sagen. Was war denn mit ihr los?
    Sascha fixierte Mordechai mit strengem Blick. »Danke, wir brauchen keine Hilfe. Wir sind mit dem Inquisitor hier.«
    »Ein so gut aussehender jüdischer Junge arbeitet für die Polizei?«, höhnte Mordechai mit satanischem Lächeln. »Du musst ja deiner Mutter das Herz gebrochen haben!«
    »Über meine Mutter rede ich nicht mit Fremden«, fauchte Sascha zurück.
    »Dein Taktgefühl verdient höchstes Lob.« Aus Mordechais Grinsen entnahm Sascha, dass er für viele kommende Familienabende zur Zielscheibe des Spotts seines Onkels werden würde. »Noch einen schönen Tag, wünsche ich.« Und an Lily gewandt, sagte er: »Verzeihen Sie mir meine Dreistigkeit, Miss …«
    »Astral«, hauchte Lily.
    »Doch nicht Lily Astral?«, rief Mordechai, so als hätte er erfahren, die Göttin Aphrodite sei gerade ihrer Muschel entstiegen.
    »Woher wissen Sie meinen Namen?«, fragte Lily atemlos.
    »Nun, ich bin die Diskretion in Person. Ein Waldvogel hat ihn mir verraten. Freilich hat er mir verschwiegen, wie schön Sie sind. Waldvögel sind in dieser Hinsicht sehr unzuverlässig.« Und wieder schenkte Mordechai Lily ein Lächeln, mit dem er allen Mädchen von der Hester Street das Herz gebrochen hätte. Erst dann, nachdem er Sascha lange genug gequält hatte, zog er sich an seinen Stammplatz zurück.
    Sascha äugte noch einmal zu Wolf hinüber, ob der irgendetwas bemerkt hatte. Doch Wolf war mit dem Barmann viel zu beschäftigt gewesen und nun steuerte er das Hinterzimmer des Metropol an.
    »Gehen wir«, sagte Sascha unvermittelt, er hatte es eilig, Wolf zu folgen. »Weißt du nichts Besseres, als in der Öffentlichkeit mit fremden Männern zu schwatzen?«
    Doch Lily hörte nichts, sie starrte immer noch wie gebannt Onkel Mordechai hinterher. »Das ist der charmanteste Mann, dem ich in meinem ganzen Leben begegnet bin«, gestand sie, während sie sich von Sascha mitschleppen ließ. »Und ich habe das Gefühl, ihn schon einmal gesehen zu haben. Wenn ich nur wüsste, wo? Er muss berühmt sein, Sascha. Aber wer ist er bloß?«
    »Was weiß ich? Irgendein arbeitsloser Schauspieler.«
    »Sei nicht albern. Schauspieler sind schäbige, anrüchige Personen. Und er ist so …« Sie räusperte sich und wirkte ein bisschen verlegen. »Weißt du was?«, sagte sie mit strahlender Miene. »Ich glaube, er gehört zu den polnischen Adligen, die ihre Heimat verlassen mussten. Das würde erklären, warum er mir bekannt vorkommt. Ich muss ihn schon einmal auf einer Party meiner Mutter gesehen haben.«
    »Das bezweifle ich doch sehr«, brummte Sascha.
    »Was weißt du schon davon.«
    Was sie dann im Hinterzimmer des Metropol sahen, ließ sie ihren Streit augenblicklich vergessen. Am Tisch saß Kid Klezmer vor einer Auswahl von erlesenen Speisen und Getränken, wie sie die Gäste im großen Saal des Metropol nicht bekamen. Am

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