Der Schattensucher (German Edition)
ihnen.
»Verflucht!«, brüllte Gereon und sah gebannt zu dem Loch in der Wölbung hinauf. Das Rauschen des Wassers dröhnte in ihren Ohren.
Hinten am Tor sah Thanos ein paar Gesichter. Sie starrten schockiert in die Halle, die sich Stück für Stück mit Wasser füllte.
»Na los!«, brüllte Gereon ihnen zu. »Holt die Waffen hier raus!« Widerwillig wateten sie in die Waffenkammer hinein und begannen auf dem Boden nach Schwertern, Keulen und Speeren zu fischen.
Gereon war abgelenkt, das war seine Chance. Thanos beeilte sich, das Fläschchen zu füllen und rannte zu Elena hinüber. Ihr Gesicht war schweißüberströmt.
»Elena! Nimm das!« Er hielt ihr das Fläschchen an den Mund und wartete, bis sie zu husten aufhörte. »Elena!«
Sie öffnete die Augen und endlich erblickte sie ihn. »Du?! Verschwinde! Ich hasse dich! Geh weg!« Sie zappelte und warf den Kopf zur Seite. Thanos hielt sie fest, versuchte das Fläschchen an ihren Mund zu drücken, aber mit ihren Armen wehrte sie sich.
»Elena! Ich will dir helfen! Du wirst sterben!«
»Verschwinde! Ich will dich nicht sehen!«
Thanos gab nicht auf, kämpfte weiter gegen ihre wilde Abwehr.
»Sie will deine Hilfe nicht, hast du es nicht verstanden?«, dröhnte Gereons Stimme in seinem Ohr. Ehe Thanos sich umdrehen konnte, schlug etwas Hartes in sein Genick, ein eisiger Schmerz durchzuckte ihn und fuhr ihm bis in die Zehen. »Ich danke dir für das Rezept«, hörte er Gereon noch irgendwo in der Ferne sagen. Dann verschwamm alles vor seinen Augen, er kippte zurück und sah seinen Kontrahenten, der sich über ihm zu einem Riesen aufgebäumt hatte. In der Hand hielt er einen roten Edelstein.
Sein Kopf sank zu Boden, ein Fläschchen klirrte neben ihm und alles wurde noch verschwommener.
Es wollte schwarz vor seinen Augen werden. Düstere Schleier drängten herein und versuchten die bunten Felder in seinem Blick zu überdecken. Doch es gelang ihnen nicht. Thanos schloss die Augen und doch sah er. Es war, als hätte er ein Schauspiel aus Licht und Farben vor sich, das er in aller Ruhe betrachtete. Das gefiel ihm. In keinem Moment dachte er daran, den Ort zu verlassen, Platz zu machen für die Finsternis, die so gern hereingekommen wäre.
»Hast du jetzt Angst?«, hallte eine Stimme aus der Ferne.
Er runzelte die Stirn. Was meinte diese Stimme? Mit wem redete sie? Wieso sollte er Angst haben, er, der Erbauer von Alsuna?
Er genoss weiter das Farbspiel, lächelte, auch als er merkte, dass es weniger wurde, das Licht abnahm und die Kanten sich schärften. Irgendwo ganz weit weg stieß ihm jemand gegen das Schienbein und sagte, er solle aufwachen. Unnötig, er spürte in seinen Gliedern ohnehin fast nichts mehr.
Bald sah er wieder das wolkige Haar von Gereon. Er stand nicht weit von Thanos entfernt, hinter ihm war Fackellicht, sodass er die Umrisse, aber kaum das Gesicht erkennen konnte. Sicher war es aus seiner Perspektive umgekehrt, dachte Thanos.
»Kommt endlich zu Euch und stellt Euch Eurem Schicksal!«, sagte er. Unglaublich, wie einfältig dieses Gefasel doch war.
Thanos konnte nur ein wenig den Kopf heben, der Rest seines Körpers war gelähmt. Der Stein, mit dem ihm Gereon ins Genick geschlagen hatte, lag noch immer in dessen Hand. In der anderen hatte er jetzt eine Armbrust. Die Umrisse wurden immer klarer.
War er ohnmächtig gewesen? Doch sicher nicht lange. Er spürte, dass es an seinen Haaren feucht wurde. Langsam drehte er den Kopf zur Seite. Ein paar Glasscherben lagen da und wurden von einer dünnen Wasserschicht umspült. Das Rauschen hinten war noch immer zu hören.
»Die Vollendung ist nahe«, fuhr Gereon fort. Thanos sah ihn mit unveränderter Miene an. »Wie lange habe ich darauf gewartet! Meinetwegen soll diese Halle untergehen. Es ändert doch nichts an dem Schicksal, das dieser Tag für Alsuna bereithält.«
Gereon hob die Armbrust. Thanos schaute immer noch ungerührt zu ihm auf. Er würde nicht schießen. Er würde reden, reden, reden. Mehr würde ihm nicht gelingen.
»Welche unendliche Liebe hat diese Stadt doch zu sich selbst entwickelt, dass sie sich nun aus den Banden ihres ewigen Unterdrückers lösen wird. Und für alle Zeit wird Alsuna sagen: Ich selbst habe es getan. Ich bin aus den tiefsten Tiefen meines Elends mit unbändiger Kraft aufgestanden und habe den übermächtigen Vater erschlagen. Ich bin über mich selbst hinausgewachsen, denn als ich schon im Sterben lag, habe ich mich zum Thron der Selbstbestimmung
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