Der Schattensucher (German Edition)
mischte das Weiß zusammen, das sie an die Wände strichen. Ramon hatte bereits in Ortwins letzten Lebenswochen die Werkstatt allein geführt. Außer dem Ofen hatte er ziemlich alles umgestellt. Ein neues Fenster war in die Wand geschlagen worden, sodass die Werkstatt den ganzen Tag mit Licht durchflutet war. Oben hatten Alvin und Ramon ihre Kammern, doch Alvins Kammer war zugleich der Planungsraum. Auf dem Tisch lagen Aufzeichnungen, dort standen Flaschen und Schalen. Das Serum wurde unten hergestellt, wo früher der Stall gewesen war. Ein früherer Minenarbeiter und seine Frau kamen regelmäßig und mischten die Zutaten zusammen, die Alvin ihnen vorgab. Ein Glaser brachte ihnen die Fläschchen, mit denen sich alle ausrüsteten.
Es waren besondere Leute, dachte Alvin, als er abends allein in der Kammer saß. Er hatte wieder mit seinen Aufzeichnungen begonnen.
Es ist erstaunlich, schrieb er auf einen rauen Papierbogen, wie sehr sie sich für meine Idee begeistern konnten. Manchmal denke ich, dass ich ihnen noch recht wenig anvertraut habe. Der junge Glaser sagte mir, meine Art, wie ich mit ihm umgegangen sei, habe ihn überzeugt. Dieses Kompliment nehme ich an, auch wenn ich noch nicht sehr viel getan habe. Ich war oft zum Essen bei ihnen, habe ihnen zugehört. Ich habe versucht, ihnen zu zeigen, dass sie nicht nur für ihren Lebensunterhalt arbeiten müssen. Und je mehr ich mit ihnen darüber rede, umso mehr scheinen sie es zu verstehen. Manchmal streiten sie sich noch um Kleinigkeiten. Das lässt sich wohl nicht vermeiden, wenn man so häufig beisammen ist. Aber wenn sie arbeiten, dann tun sie das mit ganzem Herzen.
Ich weiß nicht, wann der Zeitpunkt ist, ihnen mehr anzuvertrauen. Noch scheinen sie nicht reif zu sein, mit den großen Dimensionen konfrontiert zu werden. Sie würden es nicht verstehen. Deshalb halte ich mich bedeckt. Sie ahnen nicht, dass mein Vater der Graf von Briangard ist. Vermutlich würden sie es nicht verkraften, wenn ich es ihnen mitteilte. Ich könnte versuchen, ihnen zu erklären, dass ich der Sohn und nicht der Graf bin. Aber ihre Abneigung gegen den Grafen ist so groß, dass sie meinen guten Absichten nicht mehr trauen würden, aufgrund der bloßen Tatsache, dass er mein Vater ist. Sie würden mich ebenso hassen wie ihn und alles würde sich ins Gegenteil verkehren. Nein, sie müssen noch eine Weile lernen, mir zu vertrauen. Bis dahin werden wir sicherlich so mächtig sein, dass sie das eigentliche Ziel erfahren dürfen, für das ich gekommen bin.
Neulich habe ich eine Frau kennengelernt, deren Mann schwer an der Seuche erkrankt ist. Sie scheint sehr klug zu sein und die Zusammenhänge schnell zu verstehen. Ich denke daran, dass auch sie einen Platz unter uns finden könnte. Ich brauche eine Vertraute, wenn der Zeitpunkt kommt, dass ich bis zum Äußersten gehen muss.
Er setzte ab und legte das Blatt beiseite. Er hatte zwei ganze Seiten vollgeschrieben. Vermutlich war eine Menge davon überflüssig und würde in vielen Jahren niemanden mehr interessieren. Seit er wieder zu schreiben begonnen hatte, flossen die Worte nur so aus ihm heraus. Vielleicht war im Moment das Papier der einzige Gesprächspartner, dem er alles anvertrauen konnte.
24. Kapitel
Briangard, Jahr 304 nach Stadtgründung
Das diplomatische Treffen versetzte Diener und Wachen von Briangard gleichermaßen in Aufregung. Jason ließ die Mauerposten doppelt besetzen und stellte auf dem Weg vom Außen- zum Innentor alle paar Meter eine Wache auf. Die Bewohner des Vorhofs waren angehalten, während des Treffens in ihren Häusern zu bleiben.
Im Palast reinigten die Diener den Marmorboden und entzündeten alle Lichter, die vorhanden waren. Norman ließ sämtliche Mitglieder der Palastwache zusammenkommen und unterrichtete sie, was im Falle eines Übergriffs zu tun sei. Er forderte, dass sie alle im Haus sein müssten, ihre Präsenz jedoch nicht spürbar sein dürfe.
»Wir werden auf jeder Galerie einen zusätzlichen Mann postieren. Ihr werdet aber nicht herumlaufen, sondern euch stets in Deckung halten. Zu jedem Zeitpunkt müssen mindestens zwei Schützen die Gäste im Auge haben.« Er schaute Levin an. »Sie werden jedoch das Gefühl haben, dass nur ein Wächter um den Grafen ist. Und bis auf einen Dolch am Gürtel wird Linus unbewaffnet sein. Ich hoffe, du wirst gut mit den Stadtwachen auskommen, die die Senatoren mitbringen.«
»Ich kenne die Stadtwachen besser als jeder andere hier«, sagte Levin und lockerte die
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