Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
nachmachte und schmucklose, aber bequeme Kleidung wählte: ein Hemd, eine Hose und einfache Schuhe. Sicher war es den Matrosen egal, wie sie herumlief. Und sie wollte für die nächste Verfolgungsjagd gerüstet sein.
Noch während ihres Frühstücks machte sie sich mit frischer Begeisterung wieder an die Arbeit. Seit ihrer überstürzten Abreise aus Dschakura hatte sie über dem Kupferstich aus dem Bestiarium gebrütet, bislang ohne Ergebnis. Aber diesmal, ganz sicher, würde sie das Rätsel lösen!
Wieder betrachtete sie das Bild mit den Blüten, den Sternen und dem Dschungel ringsherum. Untersuchte es mit dem bloßen Auge und ihrer Lupe; ging stirnrunzelnd in der engen Kabine auf und ab und murmelte vor sich hin, begleitet von einem fragenden Blick des Vogels.
Blüten, Sterne, Dschungel – was hatte Veribas ihnen damit sagen wollen? Erneut zog sie die kopierte Seite aus seinem Brief hervor und legte den Kupferstich daneben. Sie probierte alle Verschlüsselungsmethoden aus, die sie kannte, untersuchte jeden zweiten Buchstaben auf eine geheime Bedeutung, jeden dritten, jeden vierten, die Worte vorwärts, die Worte rückwärts, kreuz und quer.
Nichts brachte sie weiter.
Frustriert entschied sie, eine Pause einzulegen, und schrieb den Brief an Alrik zu Ende, den sie gestern begonnen hatte. Sie hatte ihm den Flug nach Dschakura und ihre Erlebnisse in der Bibliothek beschrieben, das Zusammentreffen mit den Graujacken, den totgeglaubten General jedoch ausgespart. Es reichte völlig, dass Ruhndor sie beunruhigte.
Es liegt immer noch kein neuer Kurs an. Nach unserem Abflug haben wir über einer Oase in der Wüste westlich von Dschakura Halt gemacht und hier die Nacht verbracht. Die Kessel sind kalt, um Kohle zu sparen.
Durch mein Bullauge sehe ich die Palmen rings um das Schiff und die Dünen jenseits davon. Ich schätze, dass wir auf hundert Meilen in jede Richtung die einzigen Menschen sind.
Immer noch keine Fortschritte mit dem nächsten Hinweis. Ich habe das Gefühl, mein Hirn fängt bald an zu rauchen.
Der Urwald, den der Kupferstich zeigt, liegt in einem von Tolmens Märchenländern. Wird wohl schwierig, dahin zu fliegen, was? Schlechter Witz. Habe die letzte Nacht von Sprungnattern und Schattenschleichern geträumt. Ob es je einen Leser gab, der Tolmens Beschreibungen ernst genommen hat?
Aber Veribas hat uns nicht ohne Grund zu der Seite geführt. Ich bin ganz sicher, dass sie uns an irgendeinen Ort führen soll. Irgendwo in dem Bild befindet sich ein versteckter Wegweiser. Lian meinte gestern, dass die Sterne vielleicht ein Wort ergeben, wenn man sie mit Linien verbindet. Ich hab ihn erst dafür belächelt, dann war ich verzweifelt genug es auszuprobieren. Natürlich kam nur Unsinn dabei heraus.
Mit Sicherheit weiß ich nur, dass die Pflanzen auf dem Bild laut Tolmen nur einmal im Jahr blühen. Am dritten Tag des zweiten Sommermonats, Punkt Mitternacht. Und das Sternbild über ihnen ist der Große Hornbär. Laut der Signatur am unteren rechten Rand wurde der Kupferstich im Jahr 3003 von einem Künstler namens Flobani angefertigt (ein Anagramm vielleicht?).
Oder führt der Hinweis vielleicht doch nicht zu einem Ort, sondern zu einem weiteren Buch? Vielleicht sind die Pflanzen, Sterne und das alles eine Anspielung auf einen Titel? Wie passt das alles zusammen? Ich bin allmählich mit meinem Alt-Hondur am Ende. Manchmal möchte ich die Seite am liebsten zerreißen. Aber ich habe nicht vor aufzugeben. Und so früh schon gar nicht.
Nur wird die Mannschaft langsam ungeduldig. Die Matrosen glauben sowieso, ich sei eine Schwindlerin, zumindest sehen sie mich so an, wann immer ich ihnen auf dem Gang begegne. Wahrscheinlich halten sie die Baronin für verrückt, ausgerechnet mich mit dieser Suche zu betrauen. Und wer weiß, vielleicht haben sie damit nicht mal Unrecht?
Zumindest habe ich die ständige Übelkeit im Griff. Auch wenn die Indigopastillen des Kapitäns bald aufgebraucht sind.
Apropos Kapitän Bransker: Er will natürlich sobald wie möglich weiterfliegen. Ich kann ihn verstehen, mir geht es genauso.
Auch Lian drängt. Seltsamerweise habe ich dabei nicht das Gefühl, dass er es im Namen seiner Herrin tut. Was springt für ihn bei dieser Reise heraus? Er ist immer noch ein Rätsel für mich. Wo kommt er her? Wer sind seine Eltern? Wieso hat die Baronin ausgerechnet ihn mit auf die Reise geschickt? Ich vermute, dass er eine nicht ganz saubere Vergangenheit hat, also frage ich nicht, da er der
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