Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Es war wie eine Narbe in ihrem Gesicht. »Ich hatte wirklich gehofft, Ihr hättet etwas anderes gesagt.« Auf einen Wink von ihr traten die Männer vor.
»Kommt nur her!« Lian grinste kampflustig. »Und ich prügel den Korf aus euch raus!«
Das war Selbstmord! Kriss wich zurück, fühlte das Mauerwerk in ihrem Rücken.
Die erste Graujacke hob eine Faust, die ihr den Schädel hätte zertrümmern können, und stieß einen schrillen Laut aus. Nein, das Geräusch kam nicht von dem Mann. Es wurde lauter und lauter – die Graujacken hoben den Blick, genau wie Kriss. Sie sah Metall im Sonnenlicht funkeln, dann ging alles so schnell, dass sie es kaum verfolgen konnte. Etwas sprang der Graujacke ins Gesicht, stach zu – noch bevor der Mann aufschrie, war es weitergezischt, von einem zum anderen. Neue Schreie wurden laut. Kriss sah Metallfedern blitzen und das Funkeln blauer Kristallaugen.
»Los!« Lian umklammerte ihr Handgelenk und zog sie abermals hinter sich her. Die Graujacken waren zu sehr damit beschäftigt, ihre Augen vor dem Vogel zu schützen, als dass sie sie aufgehalten hätten. Kriss hatte die Blutspritzer auf dem Pflaster gesehen und schauderte.
»Das Vieh hat was gut bei mir«, murmelte Lian. Kriss nickte nur keuchend. Was wird aus ihm? Sie stellte sich vor, wie die Kerle die kleine Maschine in ihre Bestandteile zerlegten, und wurde traurig. Aber wichtiger war, dass sie zum Schiff kamen – und diese Stadt endlich verlassen konnten!
Bald waren sie wieder unter Menschen. Keine Graujacken weit und breit.
Den Rest des Weges zum Lufthafen hielt sie niemand auf. Als Kriss von weitem die massige Gestalt der Windrose erblickte, hatte sie das Gefühl, nach Hause zu kommen.
Dann tschilpte etwas an ihrem Ohr. Sie begann zu strahlen, als der Metallvogel neben ihr flatterte. Seine Kupferkrallen und der Schnabel schienen in rote Farbe getaucht, aber ansonsten war keine Feder verbogen. »Danke!«, sagte sie zu dem Geschöpf. Es reckte stolz den Hals und sang für sie.
»Kapitän!«, keuchte Kriss, als sie das Gelände des Lufthafens betraten. Kapitän Bransker stand vor dem Fallreep und schmauchte seine Pfeife. Nun sah er alarmiert auf.
»Probleme!«, rief Lian ihm entgegen. »Wir müssen los! Sofort!«
Das ließ sich Bransker nicht zweimal sagen. »Kessel anfeuern!«, brüllte er ins Schiff. »Alles klarmachen zum Ablegen!«
In ihrer Kabine angekommen fiel Kriss auf das Bett und riss sich die Stiefel von den ermüdeten Füßen. Sie schwor sich, nie wieder aufzustehen. »Ich weiß jetzt, wer der Mann aus Bibliothek ist«, sagte sie, als sie wieder zu Atem gekommen war. »Der Mann mit dem künstlichen Auge.«
Lian wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Wer?«
»Ruhndor!«
Er zuckte mit den Achseln.
Kriss seufzte. »Eldrias Ruhndor, General der Königlichen Armee? Ruhndor, der Verräter?«
Lian runzelte die Stirn. »Der königlichen Armee von Miloria ?«
»Von Miloria.« Kriss sah zu, wie der Vogel neben ihr auf dem Bett landete und dabei rote, gabelförmige Spuren auf dem Laken hinterließ. Sie streichelte dem Geschöpf sanft über den Kopf. Es schien ihm zu gefallen. »Kurz vor Ende des Krieges hat er mit dem Feind paktiert und ist zusammen mit einigen seiner Männer desertiert. Komm schon, jeder kennt die Geschichte von Ruhndor dem Verräter!« Sie dachte zurück an die Parade vor acht Jahren, als ihr Vater in den Krieg gezogen war. Sie und Bria hatten damals in der Nähe einer Tribüne gesessen, von der aus die Offiziere den Aufmarsch ihrer Soldaten verfolgt hatten. Einer dieser Offiziere war ein düsterer Mann mit Bart gewesen. Sein künstliches Auge hatte ihr schon damals eine Gänsehaut eingejagt. Was kann er noch alles mit dem Ding sehen?
»Und wieso is’ der hinter uns her?«, fragte Lian. Matrosen polterten an der Tür vorbei. Kriss hörte, wie die Kessel der Windrose zu schnaufen begannen. »Nein, sag’s nich’ – die Insel, richtig?«
Kriss schüttelte den Kopf. Der Vogel machte es ihr nach. »Ich weiß es nicht. Aber selbst wenn, es gibt da noch ein anderes Problem.«
»Nämlich?«
»Ruhndor ist tot«, erklärte Kriss.
ZWEITER TEIL
Rätsel
Ein Lied weckte Kriss. Der Vogel hockte zwischen ihren Büchern und Notizen auf dem Klapptisch und trällerte so fröhlich vor sich hin, dass sie ihm die Störung nicht übel nehmen konnte.
»Guten Morgen«, begrüßte sie das künstliche Tier, streckte sich und gähnte herzhaft.
Sie wusch sich und zog sich an, wobei sie es Lian
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