Der Schatz der gläsernen Wächter (German Edition)
Königreich im Norden Beraels. Aber war der Kupferstich auch dort angefertigt worden? »Silestrin«, sagte sie. »Könnt Ihr damit etwas anfangen?«
»Hmm«, machte Bransker wieder. Und noch einmal: »Hmm. Könnte gehen. Braucht aber Zeit. Muss einen ganzen Haufen Berechnungen anstellen. Geb’ Euch Bescheid, wenn es soweit ist.«
»Danke«, sagte Kriss zu Lian, als sie in den Gang traten.
Er zwinkerte ihr zu. »Nich’ schlecht für ’nen unbelesenen Dieb, was?«
Lange Zeit hörten sie nichts vom Kapitän, abgesehen von einem gelegentlichen Fluchen, das durch das ganze Schiff ging. Der hastige Sonnenuntergang der Wüste entfachte ein Meer aus Rot, Orange und Gelb über dem Himmel. Kriss saß mit Lian in ihrer Kabine, den Vogel auf ihrem Schoss. Ihr Blick ging zum Bullauge hinaus. Draußen wanderten der Rote und der Gelbe Mond über den Himmel und warfen doppelte Schatten.
Wohin würde sie der nächste Hinweis führen? Einen Dschungel, wie vermutet? Oder vielleicht doch eine Stadt? Ein halbvergessenes Grabmal? Als Archäologe war Drestan Veribas viel herumgekommen. Ob Bria und die anderen vor drei Jahren durch Zufall auf einen seiner Wegweiser gestolpert waren? Anfangs hatten sie noch regelmäßig Post geschickt, doch dann – Stille.
»Ich hoffe, es geht ihr gut«, murmelte Kriss, ohne zu merken, dass Lian sie gehört hatte.
»Deine Mutter?«
Kriss seufzte. »Niemand glaubt daran, dass sie noch lebt. Nicht einmal Alrik. Aber ich kann die Hoffnung nicht aufgeben.« Der Vogel schmiegte sich an Kriss; sie spürte sein Metallgefieder durch ihre Kleidung. Als er gähnend den Schnabel aufriss, sah sie in seinem Inneren den Kristall, der sein Herz war und die darin gefangenen Regenbogenpartikel.
»Und wenn die anderen Recht haben?«, fragte Lian.
»Dann will ich zumindest wissen, was passiert ist. Damit ich Abschied nehmen kann, verstehst du?« Er nickte. Trotzdem war sie nicht sicher, ob er wusste, was sie gemeint hatte.
»Und was ist mit deinem Vater? War er auch Archäologe?«
»Nein. Er war Lehrer. Er hat mir Lesen und Schreiben beigebracht, als ich gerade drei gewesen war. Fünf Jahre später ist er dann im Krieg gefallen.« Tränen stachen Kriss in die Augen, als sie an Timos dachte. Sein leises, wunderbares Lachen. Die Art, wie er sie immer »mein Mädchen« genannt hatte. Wie sein blonder Schnurrbart ihre Wange kitzelte, wenn er sie geküsst hatte. »Er war niemals ein Kämpfer. Aber in den letzten Monaten des Krieges war Seine Majestät verzweifelt genug, sogar Gelehrte in die Schlacht zu schicken.«
»Hast du ihn je getroffen? Ich mein’, den König?«
»Nur einmal, bei unserer Abschiedsfeier an der Universität. Bevor wir nach Ka-Scha-Raad aufgebrochen sind.«
»Und wie isser so?«
»Es kam mir so vor, als wäre er lieber woanders.« Auf der Jagd zum Beispiel , dachte sie. Oder in der Oper. Oder auf Segelregatten. Jeder wusste, dass König Bekkard so oft er konnte die Regierungsgeschäfte aufschob und sich mit seinem Hofstaat vergnügte.
»Er ist nicht der beliebteste Herrscher aller Zeiten. Viele geben ihm die Schuld dafür, dass Miloria den Krieg verloren hat.«
Lian kratzte sich an der Schläfe. »Haben wir denn verloren?«
»Nein. Aber der Waffenstillstand bedeutet dasselbe für sie.« Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht länger an den Krieg denken. »Was ist mit dir? Mit deinen Eltern?«
Lian machte eine wegwerfende Handbewegung. »Keine Ahnung. Als sie mich ins Waisenhaus gesteckt haben, war ich zu klein, um mich jetzt noch an sie zu erinnern. Ich weiß nich’ mal, wie ich wirklich heiße; meinen Namen haben mir andere gegeben.«
»Es ... muss hart gewesen sein.«
»Gibt Schlimmeres, schätz’ ich. Zumindest hab ich’s unter den ganzen anderen Rotznasen ausgehalten, bis ich dreizehn war. Die Damen im Waisenhaus haben mir immer wieder eingebläut, dass ich nur brav sein muss, dann hätt’ ich auch bald neue Eltern. Aber ich war nun mal kein braver, kleiner Junge.« Er tippte auf die Narbe über seinem Mund. »Als ich abgehau’n bin, war’n die nich’ groß böse drum. Ich hab ihnen ’ne Menge Ärger gemacht, also war’s wohl für alle das Beste. Für mich auf jeden Fall. Ich war zum ersten Mal frei.«
Der Vogel schien in Kriss’ Schoß eingeschlafen zu sein, zumindest hatte er die Liderklappen geschlossen und gab keinen Ton von sich. Einen Moment lang fürchtete sie, sein Ælon wäre aufgebraucht, dann hörte sie ihn leise piepen. Wer immer den kleinen Kerl
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