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Der Schatz des Störtebeker

Der Schatz des Störtebeker

Titel: Der Schatz des Störtebeker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald Gutberiet
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Schäden überstanden zu haben.
    Nachdem der alte Mann ihm aus der Karre geholfen hatte, stellte Kai Heinrich fest, dass er wieder auftreten konnte. Der Alte hatte ihn ganz schön ins Bockshorn gejagt. Von wegen Oberschenkelbruch! So schlimm war es nicht. Wenn er die Zähne zusammenbiss, konnte er gehen.
    Geibel hielt ihm die Tür auf, und Kai Heinrich humpelte hinein. Dabei fühlte er das unangenehme Tätscheln des Alten auf seiner Schulter. Wollte der ihn damit etwa aufmuntern?
    Kaum waren sie drinnen, blieb Kai Heinrich wie vom Donner gerührt stehen. Aber da saß sie ja! Frisch und munter, als sei nichts geschehen.
    »Christine!« Es klang weniger wie ein freudiges Jauchzen als wie ein Schmerzensschrei.
    Sie blickte träge auf und sah ihn kurz und ausdruckslos an. Als hätte sie ihn nicht erkannt.
    »Chris…«
    Was waren das für Leute an ihrem Tisch? Sie saß einem Pärchen gegenüber, auf dem Tisch lagen Dominosteine, neben ihr hockte ein riesiger Kerl. Er hatte den Arm auf ihre Stuhllehne gelegt. Der Unhold? Wieso lehnte sie sich jetzt gegen seinen muskulösen Oberarm, drehte sich zu ihm, ließ sich träge zur Seite fallen, sodass sie jetzt halb gegen seinen mächtigen Brustkorb gelehnt dasaß? Der Unhold nahm ihn ins Visier. Er hatte einen breiten Schädel, geradezu ausladende Schultern, einen Oberkörper, der wie ein Fass wirkte, und Arme, doppelt so umfangreich wie seine.
    Kai Heinrich spürte, wie die Hand von Theodor Geibel sich von seiner Schulter löste. Er trat einen Schritt nach vorn, dann noch einen und weiter bis zum Tisch, an dem Christine, die sich jetzt wieder gerade hingesetzt hatte, mit gespielter Konzentration einen Dominostein betrachtete.
    »Christine«, sagte er, und die Festigkeit seiner Stimme überraschte ihn selbst, »wo bist du gewesen? Wie kommst du hierher? Was ist –« Da stockte er, denn er war mit seiner Weisheit am Ende.
    Christine blickte den Dominostein noch intensiver an, ihre Zungenspitze erschien im linken Mundwinkel, wie es sonst nur vorkam, wenn sie eine schwierige Rechnung im Bäckerladen zu bewältigen hatte.
    Der Unhold hob den Kopf. Er hatte wasserblaue Augen.
    »Christine, ich verlange, dass du mir sofort erklärst…«
    Der Unhold stand auf und überragte Kai Heinrich in jeder Dimension.
    Kai Heinrich blitzte ihn böse an: »Was haben Sie hier mit meiner Verlobten zu schaffen?«
    »Da hast du was durcheinander bekommen, Kleiner«, sagte der Riese. »Christine ist meine Verlobte.«
    Kai Heinrich bemerkte seine unnatürlich großen, geballten Fäuste und begann zu zittern.
    »Christine!«, versuchte er es noch einmal. »Ich verlange eine Erklärung!« Wäre er nicht verletzt gewesen, er hätte mit dem Fuß auf den Boden gestampft. So aber gelang es ihm nur, die Knie leicht zu beugen, um seiner Empörung Ausdruck zu verleihen. Es wirkte nur lächerlich.
    Christine sah ihn nicht an, aber sie sprach: »Karl hat uns den ganzen Tag gesucht. Du kannst von Glück sagen, dass du nicht da warst, als er mich fand. Ich hab ihm gesagt, er muss sich keine Sorgen machen, es war doch nur eine kleine Wanderung.«
    »Du jämmerlicher Zwerg hast meine Verlobte im Unwetter da draußen einfach liegen gelassen!«, brüllte Karl.
    »Ich wollte doch Hilfe holen…«
    »Was hast du überhaupt mit meiner Verlobten da draußen zu schaffen?«
    »Aber sie ist doch… ich bin…«, stotterte Kai Heinrich.
    Karl packte ihn am Hemd und hob ihn hoch. Das Hemd zerriss, und Kai Heinrich fiel zu Boden. Er rappelte sich auf und stürzte an den Tisch, an dem Christine noch immer zu überlegen schien, wie sie den Dominostein anlegen sollte: »Sag was!«, rief er verzweifelt. »Sag doch was…«
    Der Tisch flog zur Seite. Dann packte Karls Faust ihn am Jackenkragen und hob ihn in die Luft.
    Irgendwo brüllte jemand: »Aufhören!« Dann krachte Kai Heinrich zu Boden.
    Jetzt hatte er Angst. Und diesmal war es keine Angst um jemanden oder etwas, es war die nackte Angst um das eigene Leben. Er rappelte sich auf und humpelte zwischen Tischen und Stühlen hindurch zum Ausgang. Der Schmerz in seinem Bein war verschwunden. Er warf sich gegen die Tür, taumelte nach draußen und stolperte über die morastige Straße und immer weiter, vorbei an der Kirche, durch den Wald, den Feldweg entlang. Erst nachdem er sich in sicherer Entfernung zum Gasthof wähnte, hielt er inne und blickte zurück. Der Unhold war nirgends zu sehen.
    Er merkte, dass er noch immer etwas in der Hand hielt. Er öffnete die Faust und starrte

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