Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
Wahrheit Violet gegenüber empfand. Warum sollte er ausgerechnet mich lieben? Neben der zauberhaften, eleganten und weltgewandten Violet war ich doch nur ein unscheinbares, graues Mäuschen. Violet war in jeder Beziehung perfekt – und sie hinkte nicht! Deutlich klang mir die Bemerkung von Kittys zweifelhaften Freunden im Ohr: »Der Krüppel kann froh sein, wenn ein Mann sie überhaupt in sein Bett lässt. Sie kriegt doch eh keinen zum Heiraten ab!«
Ich hatte es die letzten Wochen verdrängt, gedacht, dass wahre Liebe über eine Behinderung hinwegsah, aber ich hätte es besser wissen, hätte Harrison besser kennen sollen! Ein Mann, der vor Kraft nur so strotzte, der äußerlich die Verkörperung der puren Sinnlichkeit war, konnte für eine Frau, wie ich es war, unmöglich tiefere Gefühle entwickeln. Harrison brauchte eine Frau an seiner Seite, die seine Attraktivität ergänzte. Eine Frau wie Violet, die Zoll für Zoll eine wahre Dame war. Nur eines minderte Violets Vollkommenheit: Sie war mehr oder weniger mittellos. Ihre angeblich reiche Heirat hatte ihr nichts eingebracht, und sie war eine Frau, die sich gerne mit Luxus umgab. Ebenso wie Harrison. Warum sollte er Violet heiraten, wenn ihm eine vermögende, um Liebe bettelnde Erbin wie eine reife Frucht in die Arme fiel?
Scham und auch eine gehörige Portion Zorn ergriffen mich, wenn ich daran dachte, wie bereitwillig ich das Bett und die Leidenschaft mit ihm geteilt hatte. Offen und ohne Scheu hatte ich Harrison meine Gefühle dargelegt, aus meinem Herzen keine Mördergrube gemacht. Harrison wusste, wie sehr ich ihn liebte, und ich hatte bis eben geglaubt, er würde die gleichen Gefühle für mich empfinden. Ohne das zufällig belauschte Gespräch wäre ich in wenigen Wochen völlig naiv mit Harrison vor den Traualter getreten. Danach wäre er als mein Ehemann der Herr von Cromdale, und Violet würde als seine Geliebte im Haus bleiben. Welch eine perfekte Lösung, zumindest für Harrison! Vielleicht wären sie auch so diskret gewesen, sich irgendwo ganz in der Nähe ein Liebesnest einzurichten, damit der kleine Hinkefuß keinen Verdacht schöpfte. Von mir erhielt er den Besitz, von Violet den Körper einer schönen Frau. Ich war überzeugt, dass sie bereits jetzt schon das Bett teilten. Vor meinem geistigen Auge sah ich die beiden deutlich, wie sie sich in den Laken wälzten. Violet hatte ihn behext.
Warum gebrauchte ich das Wort behext? Nein, das stimmte nicht. Es war keine Frage der Hexerei. Sie war eine schöne, sinnliche Frau und er ein lüsterner Mann. So wie jeder Mann lüstern war. Kein Wunder, dass er sie begehrte! Mir war, als sei ich plötzlich hellsichtig, als wäre ein verstaubter Spiegel blank gerieben worden, so dass ich nunmehr klar sah.
In der Nacht stand ich auf und ging zu Violets Zimmer. Ich wollte eine Aussprache, wollte Gewissheit, so schmerzlich sie auch war. Vorsichtig öffnete ich die Tür. Die Bettvorhänge waren zurückgezogen, und ein breiter Streifen des blassen Mondlichts beleuchtete das Lager.
Es war leer.
Ich verzichtete darauf, in dieser Nacht Harrison aufzusuchen, ich wollte nicht sehen, was hinter der verschlossenen Tür geschah. Aber am folgenden Nachmittag zog es mich magisch in Harrisons Zimmer. Lange stand ich vor dem Bett, in dem wir bereits einige Nächte voller Zärtlichkeit verbracht hatte. Vergnügte er sich hier auch mit Violet? Hinterher unterhielten sie sich vermutlich ... vielleicht sogar über mich! Lachten gemeinsam über meine Naivität zu glauben, dass ein Harrison MacGinny einen hinkenden Krüppel lieben könnte. Nun brach die Sperre tief in mir, und ein Schluchzen, das an das Verenden eines Tieres erinnerte, entrang sich meiner Kehle. Es war sinnlos, weiter die Augen vor den Tatsachen zu verschließen und mir einzureden, dass ich nur unter einer besonders stark ausgeprägten Eifersucht litt.
Mein erster Gedanke war Flucht. Ich wollte von hier fort, irgendwohin, wo mich niemand kannte. Wo ich mich ganz meinem Leid hingeben könnte. Ich stolperte in mein Zimmer und zerrte die Reisetasche aus dem Schrank. Wahllos stopfte ich Kleidungsstücke hinein, bis ich schließlich zitternd innehielt. Ich betrachtete im Spiegel mein vom Weinen geschwollenes Gesicht.
»Nein, Lucille MacHardy«, sagte ich laut zu meinem Spiegelbild. »Flucht ist keine Lösung! Damit hätten sie erreicht, was sie wollten. Cromdale ist das einzige Heim, das du jemals besessen hast. Du wirst es den Geiern nicht kampflos in den Rachen
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