Der Schatz von Njinjo (German Edition)
hellichten Tag überfallen. Wenn wir im beschaulichen Moshi davon hören, können wir uns das nie so recht vorstellen. Jetzt, wo ich zwischen feuchten Lehmhütten entlang spaziere, ganze zwei Steinwürfe weit entfernt von der glitzernden Innenstadt, fällt es mir leichter.
Kurz vor Sonnenuntergang stehe ich am Rand eines seltsamen Geländes in der Ali-Hasan-Mwinyi-Road: Auf einer riesigen geweißten und gewölbten Mauer flimmern Bilder wie im Kino, nur fehlt der Ton. Davor parken Dutzende von Autos, alle mit der Schnauze zur Wand. Die Insassen scheinen sich zu amüsieren. Hinter dem Meter hohen Maschendrahtzaun, der rund ums Gelände führt, haben sich kleine Grüppchen Schaulustiger eingefunden und verschlingen gebannt, grobmaschig kariert, die indische Schnulze auf der weißen Mauer. Auch der fehlende Ton scheint niemanden zu stören. Vorgespielt wird eine schmachtende Welt, die so garantiert nie existiert, doch für uns, die wir hier bei 40° C Hitze atemlos verharren, wahre Traumwelt werden soll. Der Film, Abfallprodukt aus Bollywood, würde kaum seine Kosten einspielen, wenn es nicht noch unseren herrlich unverbrauchten Markt hier gäbe, hier in Dar es Salaam, Metropole eines der letzten Länder der Welt ohne Fernsehlandschaft! Minutenlang schaue ich meinen Landsleuten beim Zuschauen zu, bevor ich weiter gehe. Vielleicht sollte ich mir zur Abwechslung mal wieder einen richtigen Film anschauen.
Auf dem Weg nach Hause, zurück zu den Töchtern Nyauchos, fällt mir erstmals seit Stunden ein, dass heute ja Silvester ist. Auch gegessen habe ich viel zu wenig. Rundum verlischt bereits jeder Blick nach wenigen Metern in der Finsternis, fast wie in meiner ersten Nacht. Ein wenig Licht verbreiten noch geöffnete Läden und die zu dieser frühen Zeit in dichter Folge vorbeifahrenden Autos, Busse und daladalas . Dahinter gähnt bis zur Innenstadt lähmend die Dunkelheit. Hinter dem falen Licht einer Straßenlaterne taucht plötzlich ein Schatten auf, der mich schon wieder an Kolimbas Gorilla denken lässt. Als wenn der mich verfolgen würde!
Vor einem Gebäude mit schwach erleuchteter Außenwerbung in der Zanaki Street stoße ich auf eine lange Schlange wartender Menschen. Ein Kino zeigt „Path of Fire“, Showbeginn zu jeder vollen Stunde. Schon in Moshi hab ich von diesem indischen Actionthriller mit Superstar Duggu gehört, 200 Millionen Dollar habe der allein im letzten Jahr eingespielt! Das wär doch was, den jetzt selbst zu sehen. Bei einem fliegenden Händler leiste ich mir rasch einen mishkaki -Spieß und stelle mich für ein Ticket an. Sieben Tausender kostet mich der Spaß.
Als wir uns nach Abspielen der Nationalhymne wieder setzen, beginnt der Film: Eine knallbunte dreistündige Geschichte mit herrlichen Schmalzsliedern um einen gutmütigen Lehrer, der sich dem Sohn des Bürgermeisters in den Weg stellt, weil der die Mafia und Drogen ins Dorf holt. Prompt muss der Lehrer sterben und wird am Ende natürlich von seinem Sohn gerächt! Das Gute siegt, klasse.
Zwei Stunden vor dem Jahreswechsel stehe ich nichtsdestotrotz desillusioniert vor Nyauchos Haus: Bei so viel Sehnsucht und Liebe fühlt sich ein alleinstehender, erfolgloser Mann wie ich an der Schwelle zum fünften Lebensjahrzehnt einigermaßen von Gott und jedem Glück verlassen. Majorie aber, die mir strahlend die Tür aufmacht, empfängt mich heute besonders herzlich, nimmt einen Zweitausender als Übernachtungsgeld, und ohne auf Wechselgeld zu drängen, lasse ich mich von ihr direkt ins Hinterhaus führen. Ihre Schwester schläft schon tief und fest. Majorie und ich hingegen finden nicht viel Schlaf in dieser herrlichen Silvesternacht.
Neujahr wird kein Tag wie jeder andere. Ich bin verknallt, fürchterlich, und endlich einmal nicht vergeblich. Niemand darf das wissen, sonst wird es teuer. Außerdem würde Nyaucho mich sofort rausschmeißen. Seine Tochter und ein vom Bankrott bedrohter, viel zu alter Taugenichts! Nicht zu fassen!
Majorie, aus deren Armen ich mich irgendwann am Morgen befreie, schaut wenig scheu an mir vorbei zu ihrer jüngeren Schwester, offensiv Stillschweigen einfordernd. Beiden steht der kommende Tag ins übermüdete Gesicht geschrieben: Neujahr ist kein Tag um auszuspannen. Rasch stehen sie auf, fast so, als interessiere das Datum niemanden außer mir. Niemand stellt irgendwelche Fragen.
Als ich Stunden später beschwingt im „Continental“ auftauche, ist nichts mehr, wie es vorher war. An der Rezeption sitzt eine
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