Der Schatz von Njinjo (German Edition)
Uneigennützigkeit jedoch kann der Deutsche wenig anfangen. Dafür lebt sie ihm erheblich zu feudal. Auch kostet das Zimmer, in das sie ihn führt, weit mehr als die 10.000 Shilling, die des Taxifahrers Freund erwartete, das Doppelte, um genau zu sein. Es ist fensterlos und einfachst eingerichtet. Das Moskitonetz zieren Dutzende geflickter Löcher, dafür hängt an der Decke ein Ventilator, der funktioniert, solange Strom da ist. Der Boden ist peinlich saubergefegt und das Bettzeug riecht geradezu penetrant nach Omo. Schräg gegenüber liegt ein geräumiges Bad mit warmem und kalten Wasser, das allen sechs Zimmern des Traktes dient.
„Wünschen sie dinner? “, fragt ihn die Wirtin im Hinausgehen. „Das müsste ich nämlich jetzt schon wissen, für die Einkaufsliste meines Mädchens.“
„Ja, bitte doch“, bestätigt der Deutsche und schließt die Tür. Eine Stunde später hat er sich erholt und macht sich auf, die Umgebung zu erkunden. Rund um den Club, auch parallel zum Strand, verläuft ein mit Stacheldraht bewehrter Zaun. Zwar gibt es zum Meer einen Durchgang für Gäste des Hauses, doch Schwimmen kann man dort anscheinend nur bei Flut. Im Moment plätschert das Wasser hunderte Metern tief ins Meer hinein in unzähligen kleinen Tümpeln vor sich hin, die kaum knöcheltief vollgelaufen sind.
Petermann beschließt, einen großen Spaziergang zu machen. Verirren kann er sich hier direkt am Meer ja kaum, und ähnliche Erlebnisse wie in Dar es Salaam bei Nacht erwartet er in dieser gottverlassenen Gegend nun auch wieder nicht. Die Erkältung klingt langsam ab, die elende Übelkeit auf See ist längst vergessen, ebenso schnell wächst die Entdeckerlust. So wandert er am Strand entlang nach Süden, woher er mit dem Taxi kam. Die Außenbezirke Mtwaras sind dünn besiedelt. Vorbei an großen, doch kaum luxuriös zu nennenden Strandgrundstücken erreicht er nach einiger Zeit auf einer Anhöhe erneut die verlassene Hotelbaustelle. Toller Blick! Kurz dahinter riecht es penetrant nach Fisch. In einer kleinen Bucht unweit der Brückenpfeilerstümpfe, die er bei der Einfahrt in den Hafen bemerkte, stößt Petermann auf Mtwaras Fischmarkt. Schmale Auslegerboote, ganz ähnlich denen, die vor Stunden in Sichtweite der „Canadian Spirit“ auf dem hohen Meer dümpelten, laden gerade ihren bescheidenen Fang aus. Zwei Dutzend Männer drumherum nehmen von dem hellhäutigen Fremden noch weniger Notiz als die Frauen an dampfenden Fischbratplätzen.
Plötzlich aber sieht der Deutsche sich umringt von einem Haufen schreiender Kinder. Wie aus dem Nichts sind sechs, acht Kids hinter einer Düne aufgetaucht, kaum eines älter als zehn, eben noch scheu, um den muzungu jetzt dicht zu bedrängen. Warum sind die nicht in der Schule? Keines der Gören ist vernünftig angezogen, die Hälfte hat aufgeblähte Hungerbäuche. „ Muzungu! Muzungu! “, klingt es aufdringlich in Petermanns Ohren, er lächelt, doch irgendwie wird ihm bald mulmig. Die Kinder halten keinen Abstand, so wie er es kennt und erwarten würde. Sie kommen extra dicht an ihn heran, um ihn zu berühren. Er kommt sich vor wie ein Exot im Zoo. Das macht zornig. Für eine Sekunde wird er laut. Seinen Ruf „Haut ab!“ allerdings quittieren die Kids mit unbefangenem Lachen. Erst als er sich eine Gasse bahnt, um selber zu verschwinden, weichen sie zurück.
Eine gute halbe Stunde später steht Petermann zum zweiten Mal an diesem Tag am Rand des Ortskerns von Mtwara, der südlichsten „Stadt“ Tanzanias, Traumfabrik wachstumsverliebter Kohle-, Bergbau- und Cashewnuss-Verherrlicher. Irgendwann in ferner Zukunft soll Mtwara einmal wieder einen Bahnhof haben, nicht für die kolonialen Raubbau-Güterzüge wie vor 70, 80 Jahren, sondern dann für postkoloniale chinesische Waggons mit Steinkohle aus dem Hinterland. Vorbei an einer BP-Tankstelle, dem Neubau der Staatsbank und dem protzigen Gebäude der ehemaligen Einheitspartei gelangt Petermann zur einzigen echten, beidseitig von Läden und Lagerhäusern gesäumten Straße des Orts, tatsächlich asphaltiert. Fast alle Geschäfte stammen aus den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts und gehören Asiaten, Indern und Pakistani, die gegen Ende der Kolonialzeit eingewandert sind.
Völlig ungeübt in Sachen Konsumverzicht will sich Petermann hier endlich etwas gönnen: einen auf dem langen Weg von Nairobi hierher längst dreimal durchgeschmolzenen Riegel Snickers für sechstausend Shilling aus einem Laden, der importierte
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