Der Schatz von Njinjo (German Edition)
die Nachfrage nach dem Stammholz rapide anschwellen lassen. Der Mpingo-Baum, dem es entstammt, steht schon lange unter Naturschutz, ist aber trotzdem beinahe ausgerottet“, empört sich der Kunsterzieher. Petermann hört längst nur noch mit halbem Ohr zu, ihn zieht’s nach draußen an die frische Luft. Demonstrativ unruhig blickt er sich um.
Der Lehrer aber fährt unbeirrt fort. „Die Schnitzereien selbst sind früher naturalistisch gewesen. Im Mittelpunkt stand die Figur der Mutter. Mit ihren Skulpturen kommentierten die Künstler – bis heute ausschließlich Männer! – das Alltagsleben, Konflikte, Kämpfe, Ängste und Werte. Später hat sich das Spektrum erweitert. Vor allem Tiere wurden nun so naturgetreu und typisch wie möglich nachgebildet. Der Einzug der Europäer schließlich hat den Stil nochmals grundlegend verändert. Nun galt es, Geld mit der Kunst zu verdienen, also ge- und auffälliger zu werden. Individuelle Motive nahmen sprunghaft zu, und das Gesamtbild der Kunst differenzierte sich. Den letzten Umbruch erfuhr die Makonde-Kunst, als sich die sozialen Rahmenbedingungen durch die Erlangung der Souveränität erneut radikal veränderten. Die individualistischen Formen – groteske Geister, Fruchtbarkeitsriten, Gott und Teufel – verschwanden. Statt ihrer tauchten jetzt vermehrt Darstellungen des Menschen in seinen Beziehungen und Arbeitszusammenhängen auf, ineinander verwobene Menschengruppen, Bilder, die der Gemeinschaft verpflichtet sind und auf die ‚Ujamaa’-Slogans der Herrschenden anspielen. All das muss man wissen, wenn man hier runterfährt!“, schließt der Brite endlich sein Plädoyer.
Gegen zehn Uhr funkeln am Horizont Blechdächer in der Sonne. Mtwara taucht auf. Durch eine Meerenge, an deren Nordseite Trümmer massiver Pfeiler von größenwahnsinnigen Plänen zeugen, die Hafenbucht zu überbrücken, gleitet die Fähre auf die Pier von Tanzanias drittgrößtem Hafen zu. Immer deutlicher kommen die vier, fünf Schuppen auf dem Kai in Sicht. Am Ende des Anlegers liegt tonnenweise Tropenholz, bereit zur Verschiffung, weit und breit jedoch gibt’s gerade mal vier Kräne und kein zweites Schiff.
Lange vor dem Anlegen herrscht heftiges Gedränge an der Reling. Noch bevor das Schiff festgemacht hat, springen die ersten Passagiere von Deck, lassen sich ihr Gepäck hinterherwerfen und rennen auf den Hafenausgang zu. Am einzigen Durchgang durch den Zaun, der das Gelände begrenzt, stehen lustlos sechs, acht Hafenpolizisten. Auf die Menschen achten sie kaum. Erst als das junge hellhäutige Pärchen fröhlich grüßend auf die Polizisten zumarschiert, bemerkt Petermann, wie Bewegung in die Truppe kommt. Er selbst steht noch eingepfercht oben auf dem Erste-Klasse-Deck.
Das nächste, was Petermann erkennen kann, ist, wie zwei Polizisten dem Pärchen den Weg verstellen und die Europäer (oder sind es Amis?) ihre Brustbeutel hervorholen. Sie reichen den Hafenpolizisten Ausweise oder Geld, so genau lässt sich das aus der Entfernung nicht erkennen. Petermann steht wie angewurzelt an der Reling. Mehrfach wird er angerempelt, rührt sich aber nicht von der Stelle, bis die Polizisten schließlich dem Pärchen irgendwas entgegenhalten und es durchwinken. Haben sie sich ausweisen müssen? Wird nach Weißen, nach ihm gefahndet? Dem Deutschen läuft es heiß und kalt den Rücken runter. Andererseits: Wenn es um ihn ginge, hätte man ihn da nicht bereits an Bord festnehmen können? Schließlich ist doch ein halbes Dutzend Bullen mit an Bord, die über Funk verfügen. Petermann schöpft Hoffnung. Im gleichen Moment stößt ihn von hinten jemand so heftig an, dass er sich vor Schreck fast in die Hose macht.
Es ist der Kunsterzieher, der sich Petermann aufdrängt, um ihn zu fragen, ob sie sich das Taxi teilen könnten. Schließlich werde er von seinem Arbeitgeber, dem „British Volunteer Service“, nur hundsmiserabel bezahlt. Petermann sieht eine Chance, vielleicht leichter durch die Polizeikontrolle zu gelangen, und willigt freudig ein. Zehn Minuten später steht er im Schlepptau des seltsamen Briten, den hier alle Welt zu kennen scheint, vor den Hafenpolizisten. Als sie Petermann nach seinem Pass fragen, wird ihm mulmig. Doch was tun? Flucht kommt nicht in Frage. Unwillkürlich zieht er die Schultern hoch. Der kontrollierende Polizist aber achtet nicht auf seine Nervosität, wirft einen Blick in den Ausweis, besieht sich den Einreisestempel und die darin vermerkte Aufenthaltsdauer („four
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