Der Schatz von Njinjo (German Edition)
Delikatessen verkauft. Der pure Luxus: Drei Euro für einen Schokoriegel! Im selben Moment kommt draußen ein offensichtlich durch Kinderlähmung behinderter Junge auf Krücken dahergehumpelt und bittet – verstohlen auf Petermanns Naschzeug blickend – mit sehnsüchtigen Augen um ein Almosen, ganz ohne Ton. Bevor der Deutsche gezwungen ist zu reagieren, scheucht die asiatisch anmutende Ladenbesitzerin den Jungen weg, bemüht, ihrem so solventen Kunden Gewissensnöte zu ersparen. Die ihn dann trotzdem überkommen. Hätte er dem Jungen Geld gegeben? Kaum, er „kann ja hier nicht alle retten“. Vielleicht hätte er ihm ebenfalls einen Snickers gekauft, frei nach dem Motto, alle Menschen seien gleich. Zum Preis mehrerer Hauptmahlzeiten! Aufgewühlt kleckert sich Petermann noch ein paar der teuren Schokokrümel auf die Hose und empfiehlt sich.
Einige Minuten später, als er gemütlich über einen Bolzplatz schlendert, holt ihn die Geschichte nocheinmal ein. Schon von weitem erkennt er den hungrigen gelähmten Jungen am Wegrand wieder, und der ihn, den seltenen muzungu , allemal. Sofort humpelt der Junge auf den hellhäutigen Fremden zu, der ohne Geld zu besitzen hier niemals rumspazieren würde. Diesmal wird Petermann ihm etwas geben, beiden Beteiligten scheint das gewiss, und sei es nur zum Ausgleich für das unwirsche Verhalten der Ladenbesitzerin von vorhin. Petermann stöhnt fast erleichtert auf: Kann er sich doch noch von seiner unheimlichen Bedrückung freikaufen. Aber wieviel?
Gerade noch kurz davor, sechstausend Shilling für einen zweiten Snickers auszugeben, kommt Petermann die Summe jetzt so riesig vor. Sechs Tausender, das sind für hiesige Arbeiter ein voller Tageslohn. Mit jedem Schritt, den er sich dem Jungen nähert, schmilzen die Scheine nun dahin. Er will die Verhältnisse doch nicht zum Tanzen bringen, nicht hier, nicht jetzt, nicht er! Nein, keinen 5.000er, keinen 2.000er, keinen einzigen 1.000er wird er dem Jungen geben, am Ende tut’s ein Fünfhunderter. Dessen Augen aber leuchten auf vor Glück, während Petermann blitzartig Tränen in die Augen schießen. Tränen, die in anhaltendes Schlucken münden: Was tut er hier, was ist das für eine Welt, in der er mit fünfundzwanzig Cent ein Kind so glücklich machen kann? Was hätten 5.000 Shilling ihn gekratzt? Nur mit aller Gewalt gelingt es ihm, die heftige Verschreckung runterschlucken – Gewalt, die zuhause nie und nimmer nötig ist.
Verstört gelangt er endlich zum Busbahnhof, wo er nach den Verbindungen in den Norden fragt. Zwar gibt es keinen direkten Verkehr nach Kilwa, aber wenigstens bis zur nächsten Hafenstadt, ins 100 Kilometer nördlich liegende Lindi, fahren täglich Busse. Morgen um neun soll einer gehen. Petermann beschließt pünktlich dabei zu sein. Auf dem Rückweg zum „Shangani Club“ versucht er ein Taxi zu finden, das ihn morgen früh abholt – „nein, jetzt brauche ich noch keins, danke“, „nein, hakuna, nicht heute. Tomorrow, morgen!“ – vergeblich. Dann schlendert er, von wieder aufkommenden Husten- und Schniefanfällen begleitet, die vier, fünf Kilometer zurück zum Club. Unterwegs fällt ihm auf, dass er sich bei Dunkelheit durchaus verlaufen könnte, so verlassen wirkt hier alles selbst am Strand.
Schlag sechs gibt es Abendessen bei der Britin – exakt zur Hauptverkehrszeit aller tanzanischen Moskitos.
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31. Petermann wird gebissen
Das Essen wird im mannshoch umzäunten „Garten“ des Clubs serviert, einem staubigen, ausgetrockneten Hinterhof direkt vorm Strand. Sechs Tische unter Strohdächern sorgen tagsüber für Schatten, abends für Gemütlichkeit. Petermann hat seit 36 Stunden keine volle Mahlzeit mehr genossen, vor Hunger ist ihm schwindlig. Er trägt eine dünne Synthetic-Hose und hat vergessen, sie antimückenmäßig einzusprayen. Auch Hals und Hände sind ungeschützt. Dutzendfach wird er gestochen.
Am Nebentisch sitzt ein hellhäutiger Pater mit zwei Einheimischen beim Bier, der jeden Totschlagsversuch Petermanns mit einem Lächeln begleitet. Südtanzanische Moskitos sind für wazungu nun mal viel zu flink. Aus schwer erklärbaren, doch allgemein bekannten Gründen nicken sich die beiden Weißen zu wie Fremde in der Diaspora, ganz so, als würden sie sich kennen.
Als Petermann aufgegessen hat – Fleisch in Soße mit Süßkartoffeln und Kohl –, wird dies sofort bemerkt. „Kommen sie doch auf ein Bier herüber, wenn sie mögen“, lädt der Pfarrer ihn auf englisch
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