Der Schatz von Njinjo (German Edition)
der Busfahrer das dröhnende Signalhorn zieht. Der mächtige Ton ruft alle Fahrgäste zusammen, die zielstrebig ihre Plätze suchen. Hastig beißt der Deutsche zweimal zu, dann fällt ihm nichts anderes ein, als die Ananas im hohen Bogen wegzuwerfen. Im Bus würde sie ihm schließlich die Hose voll tropfen.
Kurz darauf hüllt der stotternd anfahrende Bus das Dorf in eine riesige Staub- und Dieselwolke. Petermann blickt zurück und beobachtet beschämt, wie der alte Mann seine Ananas aus den Büschen klaubt. Erst jetzt bemerkt er, dass dessen nackte Füße ohne Zehen sind. Lepra! Petermann trifft es wie ein Schlag: Hat ihn der Alte etwa angesteckt? Woran würde er das merken? Wie äußert sich diese Geißel der Menschheit bei Leuten wie ihm? Worauf muss er achten in den nächsten Stunden, Tagen – Wochen? Irgendwo hat er zwar mal gelesen, dass die Krankheit nicht mehr ansteckend ist, sobald sie behandelt wird –, aber wird sie das hier am Arsch der Fünften Welt? Er muss sich sofort untersuchen lassen!
Die Fahrt will kein Ende nehmen. Es geht über Stock und Stein. Links und rechts ununterbrochen dichter Busch, hin und wieder ein Mango- und Papaya-Baum. Ein einsamer Telefondraht begleitet sie am Straßenrand. Ab und zu scheucht der Bus ein Rudel schreiender Paviane mit leuchtendem Gesäß vom Weg. Gebremst wird ständig, nur nicht für sie.
Als es dunkelt, versucht Petermann zum wiederholten Mal nachzurechnen, wie lange es noch dauern kann. Seit neun Uhr sind sie unterwegs, jetzt ist es sechs. Einen ganzen Tag unterwegs für eine Strecke von weniger als 200 Kilometern! Zieht er die Pause in dem Lepra-Dorf ab, kommt er auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von unter 20 km/h. Kann das wahr sein? Wie weit mögen sie gekommen sein? Zwei Flüsse haben sie überquert – hat er den dritten, den die Karte zeigt, vielleicht verschlafen? Kilwa kann nun doch wirklich nicht mehr weit sein!
Am Ende dauert es fast noch mal so lange. In Nangurukuru, dem letzen Ort vor Kilwa, 166 km nördlich Lindis, zeigt Petermanns Uhr zwanzig vor zwölf. Ohne anzuhalten biegt der Busfahrer rechts ab auf die letzten dreißig Kilometer: völlig überraschend rasen sie plötzlich über eine tadellose Asphaltpiste bis nach Kilwa Masoko. Punkt Mitternacht ist er am Ziel.
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39. Hannes wagt sich zu weit vor
Seit zwei Tagen sitze ich nun schon in diesem Kaff und warte. Muss, wird der muzungu hier erscheinen?
Gemessen an Kilwa ist Moshi die brodelnde Metropole. Zwei Dutzend Gebäude säumen die asphaltierte Hauptstraße, dahinter klassisch koloniale Architektur: auf der nördlichen Seite das „Einkaufsviertel“ im Karree, hinterm Tresen Asiaten, auf der südlichen ein Gewirr enger, sandiger Gassen mit unzähligen Hütten und Bierschänken für uns anderen. Alles in allem zwei, dreihundert Häuser, ein zivilisatorischer Außenposten: eine Post, eine Polizeiwache, eine Bank, eine BP-Tankstelle, ein, zwei Schulen, ein Sendemast und ein betonierter Kai.
Petermann kann unmöglich schneller als ich hier gewesen sein. Als ich gestern ein kleines Propellerflugzeug hörte, das auf Kilwas Piste landete, zweifelte ich für einen Moment. Könnte der Deutsche vielleicht geflogen sein? Dann aber beruhigte mich ein Kneipier, bei dem ich Nachmittag um Abend verbringe: Das Flugzeug sei privat und komme nur alle paar Wochen mal vorbei. Eine andere Landung habe es seit Tagen nicht gegeben. Es gehöre „dem Griechen“, einem Fischgroßhändler, der hier eine Villa habe und Krabben und Hummer aufkaufe. Der Preis, den er zahle, sei so niedrig, dass die Fischer ihm kaum etwas liefern würden. So müsse er den Fisch vor Ort ein Jahr lang tiefgefrieren, bevor es sich lohne, dafür einen Frachter kommen zu lassen. Das hindere ihn jedoch nicht, die Tierchen in Europa als „fangfrischen“ Luxus zu verkaufen. Zwar bilde der Grieche sich ein, die Menschen hier verstünden von diesen Dingen nichts – „der sieht sich noch als Wohltäter, der den Leuten Geld bringt, nicht stiehlt!“ –, aber die Fischer wüssten das alles sehr genau. Sie würden ihm immer nur gerade die Mengen liefern, die sie brauchen, um sich vom Erlös Alltagsdinge und ein wenig Trockeneis kaufen zu können für die Lagerung des eigenen, zum hiesigen Verbrauch bestimmten Fischs.
Wenn Petermann sich von Mtwara aus mit dem Bus auf den Weg gemacht hat, kann er frühestens gestern Nacht in Kilwa eingetroffen sein. Doch die Leute sagen, dass seit Tagen kein Bus mehr aus dem Süden
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