Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)
und das Bett wurde von einer großen Clownpuppe okkupiert. Nur einen lebenden Bewohner suchte man vergebens.
Dasselbe Bild bot sich im Elternschlafzimmer, dessen Tür Wallmann unmittelbar darauf öffnete. Die Betten waren unberührt, die Federbetten waren unter Tagesdecken verschwunden. Der Detektiv atmete tief durch.
Das Haus war völlig ausgestorben, die Familie von Pfandleiher Cohen hatte es offenbar verlassen. Aber warum? Ob dieses Verschwinden etwas mit Carl Lütke zu tun hatte?
Das Schicksal der Hausbewohner war dem Detektiv herzlich egal. Ihn interessierte ausschließlich der Verbleib des jungen Mannes, für dessen Rückführung in die väterliche Villa er eine fürstliche Belohnung erwarten konnte.
Wallmann setzte seinen Weg durch das finstere Gebäude fort. Plötzlich hatte er das Gefühl, sich nicht mehr allein in dem Haus aufzuhalten. Es war seltsam – nach dem Durchsuchen der Wohnräume im ersten Stockwerk glaubte der Detektiv, dass die Pfandleihe völlig leerstehen würde. Nun war er sich dessen nicht mehr so sicher.
Wallmann blieb auf der Treppe stehen, die hinunter ins Erdgeschoss führte. Er zwang sich dazu, geräuschlos und regelmäßig zu atmen. Ihm wurde klar, dass er sich taktisch gesehen im Nachteil befand. Dank seiner Blendlaterne war nicht zu übersehen, wo und wie er sich durch die Dunkelheit bewegte. Ein potentieller Feind hingegen konnte sich überall in der Finsternis verbergen und jederzeit zuschlagen.
Der Detektiv war kein Feigling. Während seiner Militärzeit bei der Garde hatte er an der Schlacht von Sedan teilgenommen und die Gefangenname des französischen Kaisers Napoleon III. miterlebt. Auch später während seiner Ermittlungstätigkeiten hatte er mehr als einmal dem Tod ins Auge geblickt.
Bisher konnte Wallmann stets überleben, weil er die Situation richtig eingeschätzt hatte. In dieser milden Sommernacht in der Pfandleihe auf St. Pauli vertraute der Detektiv seinen archaischen Überlebensinstinkten nicht.
Es gab nach Wallmanns Meinung überhaupt keinen Grund für die Annahme, dass er plötzlich ungebetene Gesellschaft bekommen haben sollte. Kein Geräusch, kein Geflüster, keine Lampe eines Fremden deutete darauf hin. Oder?
Stufe für Stufe stieg der Detektiv die Treppe hinab. Dabei bemühte er sich, so leise wie möglich zu sein. Falls sich doch noch andere Menschen im Haus aufhielten, wollte er sie wenigstens hören können. Wallmann war sauer auf sich selbst, weil er sich grundlos ins Bockshorn jagen ließ. Er war froh, dass niemand sein Zögern und Zaudern mitbekommen hatte.
Wallmann war nämlich mutterseelenallein in dem Gebäude. Jedenfalls lautete so die Botschaft seines Verstandes. Nach einer Zeitspanne, die ihm wie eine halbe Ewigkeit vorkam, hatte er das Erdgeschoss erreicht. Der Detektiv ließ den Lichtkegel seiner Blendlaterne über die Wände gleiten. Eine halb offenstehende Tür führte zu den Geschäftsräumen der Pfandleihe. In einem Hinterzimmer erblickte Wallmann einen großen Geldschrank sowie eine Kontoreinrichtung mit den üblichen Utensilien, vom Aktenbock bis zum Tintenfass. Doch es gab noch ein weiteres Zimmer auf der rechten Seite.
Der Detektiv probierte die Tür. Sie war abgeschlossen. Das stellte für ihn allerdings kein unüberwindliches Hindernis dar. Er griff in seine Jackentasche und holte ein Bündel Dietriche heraus. Heinrich Wallmann war stets darauf vorbereitet, irgendwo einbrechen zu müssen. Daher trug er die notwendige Ausrüstung bei sich.
Es dauerte nicht lang, bis das Schloss seinen Bemühungen nachgab. Diesmal drückte Wallmann die Klinke erfolgreich herunter. Knarrend öffnete sich das Türblatt. Der Detektiv musste sich eingestehen, dass das beklemmende Gefühl in seiner Magengegend sich verstärkte. Er hasste sich selbst dafür und war froh, dass seine ehemaligen Regimentskameraden nie etwas davon erfahren würden. Er konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als in ihren Augen ein Feigling zu sein. Allerdings wären die Herren in Uniform auch nicht begeistert gewesen, einen ehemaligen kaiserlichen Offizier in der Rolle eines Einbrechers zu sehen. Doch dieser Gedanke kam Wallmann überhaupt nicht.
Denn nun erkannte er den Grund für das grausige Unbehagen in seinem Inneren. Es roch nach Blut. Der Gestank nach vergossenem Lebenssaft war möglicherweise in abgemilderter Form durch das ganze Gebäude gezogen und hatte Wallmanns bange Ahnung verstärkt. Hier, hinter der bisher verschlossenen Tür, war der Mief
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