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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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hinunterrollte, dann rollte Rocket mit. Er würde zerquetscht werden. Oder in dem langsam fließenden Wasser ertrinken. Eingeklemmt unter Tonnen von Stahl.
    »Rocket! Junge! Komm da raus!«, rief der Sheriff, der offenbar gerade dieselben schlimmen Dinge voraussah. Ich schrie ebenfalls. Aber Rocket hörte uns nicht.
    Sheriff Brown nahm die Beine in die Hand. Er rannte hinter dem Pick-up her, als hätten seine inzwischen zu Wackelpudding gewordenen Muskeln die Kraft, den Wagen aufzuhalten.
    Wenn Marisol und Mesquite doch bloß da gewesen wären! Sie hätten den Wagen hochheben und an einem sichereren Ort wieder absetzen können. Oder Autry! Er hätte eine Insektenbarrikade errichten oder einer Gruppe Spinnen befehlen können, ein Sicherheitsnetz über das Wasser zu spannen.
    Der Sheriff konnte Rocket unmöglich rechtzeitig erreichen. Und ich auch nicht, ganz egal, wie schnell ich lief. Ich kniff die Augen zusammen. Ich konnte mir nur wünschen und hoffen und beten, dass der Bremszug des Pick-ups sich von selbst reparierte.
    Als ich Reifen quietschen hörte, schlug ich die Augen wieder auf – gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie der Truck an der Kante des Grabens ruckartig zum Stehen kam.
    Ich atmete erleichtert auf und beobachtete, wie Rocket sich nun vollständig in den Wagen hineinschob, sich drehte und aufrecht hinters Steuer setzte. Ohne auf mein schmerzendes Fußgelenk zu achten, trabte ich hinter dem Sheriff her. Brown stauchte Rocket bereits ordentlich zusammen, und mein Cousin sank bei jedem Wort tiefer in den Sitz. Schließlich hörte der Sheriff auf zu schimpfen und sagte: »Du fährst jetzt schnurstracks zu Neary, mein Junge! Bis dieser Truck repariert ist, will ich ihn nicht mehr auf der Straße sehen!«
    »Ja, Sir«, antwortete Rocket. »Zu Neary. Alles klar.«
    Rocket hielt das Lenkrad fest umklammert und wartete mit laufendem Motor, bis der Sheriff davongebraust war. Dann wendete er, um zu Nearys Autoschrotthandel zu fahren, und schlug nervös mit dem Daumen gegen das Lenkrad, während er zwischen mir und der Handbremse hin und her sah.
    Wir waren noch immer angespannt wegen des Beinahe-Unfalls und keiner von uns sagte ein Wort. Der Fahrtwind trug den Geruch von sonnengewärmtem Salbei und Kuhfladen durch die offenen Fenster des Pick-ups. Er blies heiße Luft durch unsere Haare und blähte unsere T-Shirts auf wie Ballons. Und nach kurzer Zeit wurden wir wieder ruhiger.
    Das Innere von Rockets altem Ford war sehr schlicht. Wie beim Äußeren hatte er auch hier nicht groß Hand angelegt. Er hatte Bodenmatten aus Gummi und einen Gummibezug für das Lenkrad gekauft – simple Vorsichtsmaßnahmen mit isolierendem Material, um zu verhindern, dass er den Wagen unter Strom setzte. Der einzige persönliche Gegenstand in der Fahrerkabine war ein blass gewordenes Foto, das am Armaturenbrett klebte.
    Das Bild war alt. An den Rändern nach oben gebogen. Und von der Sonne ausgebleicht. Das Mädchen auf dem Foto sah hübsch aus, ihre Haare waren eine Spur dunkler als die von Sarah Jane, und sie hatte einen langen Pony, der ihr bis in die Augen hing. Das für die Ewigkeit festgehaltene Lächeln des Mädchens wirkte frech und neckend, so als hätte sie rumgeflachst, als das Bild gemacht wurde.
    »Ist sie das Mädchen, das du … also … Das Mädchen, das du erwähnt hast?«, fragte ich und wies mit dem Kinn auf das Foto. Ich dachte, sie könnte vielleicht dieselbe sein wie auf dem Foto an der Wand auf der Ranch – die mit der Kaugummiblase vorm Gesicht. Rocket schaute auf das Foto und trommelte noch schneller mit dem Daumen gegen das Lenkrad. Dann zog er das Bild vom Armaturenbrett ab. Zurück blieb ein rosa Klumpen; Rocket hatte es offenbar mit einem benutzten Kaugummi ans Armaturenbrett geklebt.
    Mein Cousin starrte eine Sekunde lang das Foto in seiner Hand an. Dann faltete er es, steckte es in seine Tasche und nickte, ohne den Blick von der Straße abzuwenden.
    »Ja, das ist sie.« Er antwortete leichthin, aber mir entging nicht, dass seine Hände sich noch fester um das Lenkrad krallten.
    »Was … was ist denn damals passiert?«
    »Es war ein dummer Fehler, Ledge, das ist alles.« Zuerst dachte ich, er wollte mich mit den paar Worten abspeisen. Aber dann sprudelte es nur so aus ihm heraus.
    »Nach meinen ersten Monaten hier auf der Ranch bin ich nach Hause gefahren. Ich war noch ein Teenager – wenn auch nur noch gerade so – und ich war mir sicher, dass ich meinen Schimmer in den Griff bekommen

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