Der Schimmer des Ledger Kale
Dann zirpte eine Grille und das Summen und Brummen der Insekten setzte wieder ein, als hätte sich über die Landschaft hinweg die stumme Kunde verbreitet, dass mir endlich die Puste ausgegangen war. Vögel zwitscherten hin und her wie Fernsehreporter, die vom Schauplatz des Geschehens berichten. Irgendwo in der Nähe stieß ein Präriehund kurze, spitze Alarmrufe aus, mit denen er seine Freunde vor dem durchgeknallten Jungen warnte, der die Gegend unsicher machte.
Hinter mir räusperte sich jemand.
»Das ist doch schon mal ein Fortschritt. Zumindest ist der Zaun noch heil.«
Ich drehte langsam den Kopf. Auf der anderen Straßenseite lehnte Rocket, die Arme verschränkt, eine Augenbraue hochgezogen, seitlich an seinem Pick-up. Weder hatte ich das Motorengeräusch seines alten F-1 gehört noch das Quietschen der Fahrertür, als er sie geöffnet hatte. Ich fragte mich, wie lange mein Cousin mich wohl schon beobachtete.
Ein Motorrad-Trio röhrte an uns vorbei. Rocket rieb sich mit einem Daumen den struppigen Bart und schaute den Maschinen hinterher, die in der Ferne verschwanden. Dann richtete er seinen elektrisch geladenen blauen Blick wieder auf mich, und ich ging davon aus, dass ich geliefert war. Vielleicht wäre ich doch besser dran gewesen, wenn der Hausdrachen den Sheriff gerufen hätte.
»Und? Ist jetzt alles raus?«, fragte Rocket überraschend ruhig, so als würde er fragen, ob ich mich fertig übergeben hätte. Mir war ganz flau, und ich fürchtete, ich müsste tatsächlich gleich spucken. Bevor mein Cousin die Gelegenheit ergriff, mich auf der Stelle mit einem Stromschlag zu töten, stand ich auf und versuchte wegzulaufen.
»Ledge!«, hörte ich ihn hinter mir, während ich mit meinem schmerzenden Knöchel die Straße entlanghumpelte. »Ledger! Bleib stehen!« Ich wusste bereits, was Rocket über mich dachte. Ich würde also nicht stehen bleiben, damit er es mir noch mal ins Gesicht sagen konnte.
Aber dann blieb ich doch stehen – denn plötzlich stoben blaue Funken durch die Luft und eine Art Dauerblitz blockierte mir den Weg. Er durchschnitt die Luft vor mir und blieb dort hängen, bis es mir in den Ohren knisterte und mir die Haare zu Berge standen. Ich versuchte nach links auszuweichen, aber eine zweite knisternde blaue Linie ließ mich zurückschnellen. Rocket errichtete rings um mich her Gitter aus gezackten, leuchtenden Linien und sperrte mich so in seinen höchsteigenen, von Schimmerenergie durchflossenen Elektrozaun.
»LASS MICH GEHEN!« Ich fiel auf die Knie. »Lass mich bitte gehen!« Meine Schultern sackten nach unten und ich begann zu beben. Ich wollte nicht, dass mein Cousin mich weinen sah, aber die Tränen tropften mir von der Nase und ich konnte sie nicht zurückhalten.
Kaum dass Rocket seine elektrische Falle mit einem brutzelnden Zischen auflöste, versuchte ich erneut zu entkommen, indem ich auf Händen und Knien weiterkroch. Aber ich war erschöpft und hatte keine Chance.
»Bleib einfach stehen, Ledger«, sagte Rocket, packte mich am Kragen meines Shirts, riss mich zurück und hielt mich fest. Ich versuchte mich freizukämpfen und stieß stille Schreie aus, bis Rocket mich besiegte, indem er einen Arm halb wie ein Bruder, halb wie ein Ringkämpfer um meinen Hals legte.
»Ich hab Autry versprochen, dich aufzustöbern und zurückzubringen«, sagte er, ohne mich loszulassen. »Was ist denn passiert, Ledge? Warum bist du weggerannt? Immer läufst du weg!« Er veränderte seinen Griff, ließ mich aber nicht los. »Hör zu, mir ist es egal, dass Sarah Jane deine Brieffreundin ist. Mir wäre es sogar schnuppe, wenn ihr vorhättet, zusammen zum Mars zu fliegen und da zu heiraten – aber Autry wäre es nicht egal. Es war schon gut, dass ich heute die Post holen musste, auch wenn ich dabei einen Transformator außer Gefecht gesetzt habe. Es wären nämlich dunkle Schwärme über der Ranch gekreist, wenn Autry gesehen hätte …«
»Das war es doch gar nicht«, unterbrach ich ihn. »Ich bin nicht wegen der Post weggerannt. Ich meine, vielleicht teilweise, aber ich … ich …«
»Du … du … was?«
»Ich weiß, was du über mich denkst«, stieß ich hervor. Das Gespräch, das ich im Insektenhaus mit angehört hatte, nagte immer noch heftig an mir. Ich wischte mir Schweiß- und Rotztropfen von der Nase, ehe ich herausplatzte: »Du glaubst, dass ich nie lernen werde, meinen Schimmer in den Griff zu kriegen!«
»Wovon redest du da, Ledge?«, schnaubte Rocket.
»Ich hab dich
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