Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
du mir?«
»Ja«, antwortete Niels und spürte ihre Hand in seiner. Wie die Hand eines Kindes. Trocken und warm. Klein. Eine Hand, die man gern beschützte.
»Folge mir.«
Der Mann mit der Kerze ging vor. Seine Silhouette flackerte wie eine Eule nervös und dunkel durch die Nacht. Niels ging der jungen Frau nach, die noch immer seine Hand hielt. Der Hall ihrer Schritte drang weit, der Flur musste schmal sein. Führte er nicht auch leicht nach unten? Niels’ Gedanken wurden von ihrer Stimme unterbrochen: »Du zitterst, das spüre ich an deiner Hand«, sagte sie.
»Ein bisschen.«
»Wir sind gleich da. Es ist gut für die Augen, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.«
Sie blieb stehen. Dann wurde ein Schlüssel in ein Schloss gesteckt und eine weitere Schiebtür geöffnet. Ein charakteristischer Geruch drang zu ihm; Öl. Altes Öl. Maschinenöl?
»Jetzt kommt eine kleine Stufe«, sagte sie und zog ihn sanft hinter sich her. Niels’ Augen gewöhnten sich an das Dunkel. Und aus dem Dunkel erwuchsen Gestalten, die meisten davon Frauen. Sie saßen in Decken gehüllt am Boden …
»Setz dich hierhin. Wir fangen gleich an«, sagte die Frau, die sich Schnee nannte. Sie ließ Niels’ Hand los, und er setzte sich auf etwas, das sich wie Schaumstoff anfühlte.
»Da liegt auch eine Decke. Wenn du mit der Situation vertraut bist und dich sicher fühlst, kannst du deine Kleider ablegen. Die Nacktheit ist ein wichtiger Teil unseres Rituals. Wenn die Seele in einen Körper gehüllt ist, müssen wir nicht auch noch den Körper einpacken.« Sie beugte sich zu Niels hinunter: »Sonst ist das wie bei einer Babuschka-Puppe«, flüsterte sie. »Schicht um Schicht. Ein Mensch in einem Menschen in einem Menschen.«
War Joachim hier? Es war unmöglich zu sagen. Die wenigen Kerzen gaben nur schwaches Licht, das gerade reichte, um die Größe des Raumes einzuschätzen: ein paar Hundert Quadrat meter vielleicht. Ein altes Lager. Niels sah keine Fenster. Und obgleich die Stimme, die durch den Lautsprecher kam, gedämpft klang, fast hypnotisierend, erschreckte es ihn, als sie die Stille plötzlich brach:
»Dann fangen wir an«, sagte sie.
2.
Islands Brygge, 22.34 Uhr
Das also war die Frau, die Silke erlösen sollte. Hannah Lund. Adam Bergmann sah sie oben auf dem Balkon stehen und in die zunehmende Dämmerung blicken. Wenn sie es tatsächlich war.Deutlich erkennen konnte er sie nicht. Nur ihre Silhouette. War sie allein zu Hause? Vielleicht. Sicher sein konnte er sich nicht. In der Wohnung brannte überall Licht. Würde man in allen Räumen Licht machen, wenn man allein zu Hause war? Wohl kaum. Er würde das jedenfalls nicht tun. Er verbrachte seine Abende allein im Dunkeln. Nur in Gesellschaft seiner Gedanken. Gedanken an die Seele. Das Wort war unablässig in seinem Kopf. Ein Wort – ein Begriff, bei dem jeder Wissenschaftler sofort schrei end Reißaus nehmen würde. Auch er selbst, bis er auf Dr. Ian Stevenson und seine bahnbrechenden Forschungsergebnisse über die Reinkarnation aufmerksam geworden war. Stevenson war ein hoch angesehener Forscher, der unter anderem das Fachgebiet Psychiatrie an der Universität von Virginia geleitet hatte. Where Reincarnation and Biology Intersect hieß sein berühmtes Buch, ein Werk, das bis ins Detail die Erinnerungen von 225 Kindern an ein früheres Leben untersucht. Stevensons Arbeit konzentriert sich besonders auf die Fälle, bei denen Missbildungen nach weislich mit den Schäden übereinstimmen, die sich die Kin der bei dem Tod in ihrem früheren Leben zugezogen hatten. Die Resultate sind verblüffend. Fast ebenso verblüffend wie der fehlende Erfolg seiner Kritiker bei dem Versuch, seine Theorien über die Reinkarnation zu widerlegen. Ein Beispiel ist ein Junge aus Sri Lanka, Indika Ishwara, der bereits als Dreijähriger begonnen hatte, von seinem Leben in einem weit entfernten Dorf zu erzählen. Indika wurde in dieses Dorf gebracht, und als die Bewohner ihn sahen, erkannten sie sofort den Jungen Dharshana, der vor einiger Zeit im Alter von elf Jahren gestorben war. Indika konnte seine Familienmitglieder erkennen und alles über das Dorf erzählen, obwohl er nie zuvor dort gewesen war. Der Fall Indika Ishwara ist aber kein Einzelfall. Stevenson berichtet von 3 000 ähnlichen Fällen – die alle detailliert untersucht worden sind.
Ian Stevenson hat auch einen bemerkenswerten Zusammenhang zwischen Phobien und der Art des Ablebens in einem früheren Leben festgestellt. Sind Leute zum
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