Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
auf.
Zweiundzwanzig Anrufe .
Stand im Flur und wartete.
Zweiundzwanzig unbeantwortete Anrufe .
Als wollte er aufschieben, was er sich nicht vorzustellen wagte.
Warum geht sie nicht ans Telefon?
Dann ging er weiter. Das Wohnzimmer war wie immer. Für den Bruchteil einer Sekunde glaubte er sogar, sie auf dem Sofa sitzen und vor sich hin starren zu sehen. Auf ihn warten. An ihrem üblichen Platz unter der Lampe. Die Arme auf der Armlehne.
Warum rufe ich sie nicht?
Er kannte die Antwort ganz genau. Wusste bereits, tief in seinem Inneren, dass sie weg war. Es traf ihn deshalb nicht wie eine Überraschung, als er die Tür des Badezimmers öffnete und das totale Chaos erblickte. Der Anblick war ein Abbild seiner schlimmsten Befürchtungen. Es gab deutliche Anzeichen eines Kampfes. Der Duschvorhang war heruntergerissen worden, auf dem Boden waren Blutstropfen, und der Spiegel war von der Wand geschlagen worden und in tausend Scherben zersprungen.
TEIL III Das Buch der Ewigkeit
TEIL III
Das Buch der Ewigkeit
… hundert Jahre . Was ist das, verglichen mit der Ewigkeit? Ein Wassertropfen im Meer, ein Sandkörnchen am Strand .
Apokryphe Schriften, Das Buch Jesus Sirach, 18.10
1.
Kopenhagen, 21.50 Uhr
Dunkler Stoff. Schwere Augenlider. Sie öffnete die Augen und sah nur Dunkelheit, versuchte, sich zu bewegen, aber ihre Beine schliefen. Auch die Arme waren taub, sie wollte sie heben, hatte aber nicht genug Kraft dafür. Sowohl Beine als auch Arme waren gefesselt, vielleicht mit Kabelbindern. Etwas schnitt schmerzhaft in ihre Haut. Ihr Mund war zugeklebt, und sie hatte eine Binde vor den Augen. Das Tape vor dem Mund war ein bisschen nach oben gerutscht und verdeckte ein Nasenloch, sodass sie schlecht Luft bekam.
Öl, Chemikalien. Brennstoff. Der schwache Benzingeruch ließ sie glauben, dass sie sich in einem Auto befand. In einem Kofferraum? Oder war das Auto größer? Ein Lieferwagen? Pappe. Sie spürte es, wenn sie mit den Nägeln daran kratzte. Sie lag auf einem Stück Pappe. Zusammengekauert. Ihre Füße stießen gegen irgendetwas Bewegliches, ebenso ihr Kopf, als sie ihn nach oben streckte. Ein Pappkarton. Das Wort durchzuckte sie schmerzhaft. Sie lag in einem Pappkarton im Kofferraum eines Autos oder in einem Lieferwagen. War zu einer Sache reduziert wor den, einem Ding, das man von einem Ort zum anderen transportierte.
Oder irrte sie sich? Er hatte ihr irgendetwas gespritzt. Ein Betäubungsmittel oder Gift, Medikamente, die ihr das Gefühl für Zeit und Raum nahmen. Oder halluzinierte sie? Es rüttelte etwas. Der Motor des Autos war beinahe lautlos, aber vielleicht stand ja auch ihr Gehör unter dem Einfluss der Drogen. Das Einzige, was sie hörte, waren ihre eigenen Gedanken und das Geräusch ihrer Furcht. Die Frage: Wo bin ich? Wohin werde ich gebracht? Was wird geschehen? Will er mich vergewaltigen, foltern? Und was ist mit den Kindern in meinem Bauch? Den un geborenen Leben. Wo ist Niels? Nein, nicht auf diese Weise, sagte sie zu sich selbst. Der Reihe nach, eine Frage nach der an deren. Die wichtigste zuerst: Wo bin ich? Wo? Sie musste lau schen und riechen. Spüren . Wie lange waren sie gefahren? Diese Frage war nicht zu beantworten, aber sie ging davon aus, dass sie zwischen fünfzehn Minuten und einer halben Stunde unterwegs waren. Dann befand sie sich noch immer in Seeland. So musste es sein. Außer, er war über die Brücke nach Schweden gefahren. Das war nicht auszuschließen. Ein Tunnel. War sie durch einen Tunnel gefahren? Bevor man auf die Øresundbrücke kam, musste man ein langes Stück durch einen Tunnel fahren. Da klangen die Autos ganz anders. Eingesperrt und laut. Eine besondere Akustik? Nein, in dieser Hinsicht war ihr nichts aufgefallen. Auch keine kreischenden Möwen oder Schiffsgeräusche. Sie konnte sich nicht sicher sein, aber aller Wahrscheinlichkeit nach war sie noch immer auf Seeland. Das Auto wurde langsamer. Sie spürte das in ihrem Bauch. Und dann hatte sie mit einem Mal das Gefühl, sie führen einen Halbkreis, mehr als einen Halbkreis. Ein Kreisverkehr? Ja, das konnte sein. Und kurz darauf noch ein Kreisverkehr, gefolgt von einer scharfen Kurve und einer längeren Pause. Warum hielt das Auto an? Standen sie an einer roten Ampel? Nein, es dauerte länger. Eine Tankstelle? Aber es waren keine schla genden Autotüren zu hören. Niemand, der aus- und einstieg. Ein Zug? Sie konzentrierte sich auf die Geräusche. Lauschte so intensiv, dass sie glaubte, ihr Kopf würde
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