Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
Brygge, 20.52 Uhr
Adam Bergmann war nervöser als sonst üblich, und diese Nervosität war ihm wie ein schwaches Brummen auf die Stimme geschlagen. Ein leicht vibrierender Nachhall bei seinen Worten, von dem er hoffte, dass nur er selbst ihn hörte. In ihrem Blick war aber keinerlei Misstrauen, als sie die Tür öffnete, sondern bloß Enttäuschung.
»Mein Mann, sagen Sie?«
»Ja, er war bei mir in der Praxis in Verbindung mit einem Fall, an dem er arbeitet.«
»Warum?«
»Das ist nicht ungewöhnlich. Denken Sie daran, dass in einer Praxis wie meiner Daten von Unmengen von Patienten archiviert sind. Für die Polizei ist das manchmal das reinste Eldorado. So ähnlich ist das ja auch mit den Taxifahrern.«
»Okay, Sie sind Schlafarzt?«
»Schlafforscher.« Er lächelte. »Aber vielleicht komme ich ungele gen?« Noch ehe sie antworten konnte, fuhr er fort: »Niels hat er zählt, dass Sie Schlafprobleme haben, und mich gebeten, Sie zu kon taktieren. Ich habe ihm versprochen, mal vorbeizuschauen, wenn ich Zeit habe. Es war viel los, und irgendwie habe ich es nie geschafft anzurufen, aber jetzt war ich hier ganz in der Nähe. Ich kannte die Adresse, weil mein Bruder mal im Nebenhaus gewohnt hat.«
»Aha.«
Sie stand einfach nur da und sah ihn an. Machte keine Miene, ihn hereinzubitten. Sie war ein harter Brocken, das spürte er bereits jetzt. Ein Mensch mit einem ganz eigenen Kopf. Ihr Blick hatte etwas Fernes, etwas Asoziales, das man aber nicht mit Unfreundlichkeit verwechseln durfte. Sie hatte einfach nur Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen, das war leicht zu erkennen und ein Wesenszug, den er bei seinen Patienten häufig antraf. Manchmal war das sogar ein Vorteil. Es erlaubte ihm, den Lauf der Dinge besser zu steuern.
»Wir können das auch an einem anderen Tag machen.«
»Ja.«
»Aber dürfte ich Sie vielleicht um einen Schluck Wasser bitten?« Er lachte.
Sie trat wie ein Roboter zur Seite. Genau diese Reaktion hatte er erhofft und erwartet. Ihre soziale Intelligenz war so gering ausgeprägt, dass sie die Spielregeln des zwischenmenschlichen Um gangs nicht kannte oder längst vergessen hatte. Sie machte es ihm leicht, dachte er. Beinahe hätte er sie fragen können, ob er sie betäuben und in sein Auto schleppen dürfte, nein, noch besser, sie bitten, mit ihm nach unten zu gehen und sich in den Pappkarton zu legen, wo er ihr das Ketamin in den Schultermuskel spritzen konnte, bevor er sie an den geheimen Ort brachte und tötete. Das ist eine ganze normale Sache, könnte er sagen, das ma chen wir Menschen immer so.
»Selbstverständlich«, sagte sie und ging ins Wohnzimmer. »Kom men Sie herein.«
»Danke.«
Auf dem Tisch im Wohnzimmer stand eine Flasche Champag ner. An dem einen Glas war nur genippt worden, das andere Glas war leer.
»Wir haben etwas zu feiern«, sagte sie, und er bemerkte noch etwas anderes an ihr: Ihre Bewegung hatte eine seltsame Leichtig keit, fast kindlich, wie bei einem Vierjährigen, der Geburtstag hat.
Was gibt’s zu feiern?, hätte er fast gefragt, verkniff sich die Worte aber. Es war jetzt nicht die Zeit für Plaudereien. Der Po lizist konnte jeden Augenblick zurückkommen. Er musste schnell handeln. Sie verschwand in der Küche und ließ das kalte Wasser etwas laufen.
»Eigentlich glaube ich, dass meine Schlafprobleme von allein wieder weggehen«, sagte sie.
»Es gibt nur selten Fälle, bei denen wir nicht helfen können.« Er machte einen Schritt in Richtung Bad. Versuchte, ihren Blick einzufangen und sie zu steuern. Aber das war schwer. Ihre Augen flackerten konstant. Als wäre sie außerstande, sich länger als den Bruchteil einer Sekunde für ein Thema zu interessieren. Er kannte diesen Blick von seinen Begegnungen mit Menschen, deren hohe Intelligenz sich in einem beständigen Suchen äußerte.
»Nehmen Sie Schlaftabletten?«, fragte er, bereits an der Tür des Badezimmers stehend. Die Tasche hielt er noch immer in der Hand.
»Selten … es fühlt sich eher so an, als hätte etwas in meinem Körper oder in meinem Kopf Angst vor dem Schlaf.«
»Darf ich mal Ihr Bad benutzen?«, fragte er und hob die Hände. »Ich möchte mir die Hände waschen. Ich habe eben Sodawasser verschüttet, die kleben schrecklich.« Er lächelte. Sodawasser. Wo kam das denn her? Er hatte seit zehn Jahren schon kein Sodawasser mehr getrunken.
»Selbstverständlich.«
Er öffnete die Tür. Flecken am Spiegel, keine Kosmetik, glatte Klinker am Boden. Er stellte die Tasche ab, öffnete
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