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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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ich setze mich. Vater nimmt mir gegenüber auf der Bettkante Platz. »Willst du nicht mal was an die Wände hängen?« Er legt seine gefalteten Hände auf meine, wie eine liebevolle Umarmung, auch wenn er nur meine Hände berührt. »So leer sieht es so traurig aus.«
    So sitzen wir da. Hand in Hand. Wie jeden Tag. Eine knappe Stunde, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Manchmal redet Vater, während ich ihn ansehe. Aber heute ist es anders. Er beginnt zu weinen. Es kommt ganz plötzlich und überrascht uns beide. Die Tränen rinnen über seine Wangen, schwere, einzelne Tropfen, lautlos. Ich zähle vier Stück, bevor er aufsteht, sich die Augen mit dem Ärmel abwischt und sich räuspert, um seine Fassung wiederzugewinnen.
    »Entschuldigung, Silke«, sagt er und kommt zu mir. »Das wollte ich nicht. Es hat mich einfach überkommen …«
    Er legt seine Hand an meine Wange. Lässt sie einen Augenblick dort. »Wir sehen uns morgen, Schatz.«
    Dann geht er.

14.
    Frederiksberg, 10.52 Uhr
    Der Prozess beginnt, sagte Hannah zu sich selbst und parkte vor der Privatwohnung ihrer Ärztin. Rote Backsteine, glasierte Ziegel. Glück und Wohlstand. Damals, nachdem Johannes sich das Leben genommen hatte, war sie zweimal pro Woche hier gewesen. Hannah und ihre Ärztin waren dabei fast so etwas wie Freundinnen geworden. Naomi Metz hatte jüdische Wurzeln. Vielleicht verstand sie Hannahs Leiden deshalb so gut?
    Hannah stieg aus dem Wagen und ging über den gepflasterten Weg zum Haus. Beim Klingeln dachte sie: Wer hat das Recht zu urteilen? Wer bestimmt über Leben und Tod? Hab ich das Recht, Richter zu sein? Ja. Ich bin die Richterin. So ist es. Soll die Verteidigung doch ihren Entlastungszeugen aufrufen.
    »Hannah!«
    Naomi umarmte sie. Parfüm. Chanel. Kinder im Garten.
    »Möchtest du einen Kaffee?«
    »Nein danke. Ich habe gerade einen getrunken.«
    Hannah folgte ihr ins Arbeitszimmer. Naomi hatte einiges umgestellt, seit sie zuletzt hier gewesen war. Das Sofa, auf dem sie immer gesessen und wieder und wieder von Johannes gesprochen hatte, war verschwunden. Stattdessen standen sich dort jetzt zwei Sessel gegenüber. Hannah setzte sich, und die Ärztin sah sie über ihre Brille hinweg an: »Wohnst du noch immer im Sommerhaus?«
    »Nein. Ich bin umgezogen. Das ist jetzt fast ein Jahr her. Die Adresse ist aber geheim.«
    »Ich darf sie aber trotzdem haben, oder?«
    »Wenn du mir versprichst, sie keinem dieser Nahtodfreaks zu geben.«
    »Quälen die dich noch immer?«
    »Ärzte, Wissenschaftler, alle möglichen Leute. Alle wollen wis sen, wie das war. Auch ein Forschungsprojekt, bei dem es eigentlich um Finanzgesetze geht, interessiert sich dafür. Aber darüber wollte ich eigentlich nicht mit dir sprechen. Ganz im Gegenteil.« Die Ärztin lächelte und rückte ihre Brille zurecht. »Was für eine Überraschung, Hannah. Schwanger.«
    »Das kann man sagen.«
    »Eine frohe Überraschung?«
    Naomi sah sie an. Milde Augen. Diese Augen hatten Hannah bewogen, sie all die Jahre als Ärztin zu behalten. Ihr ganzes erwachsenes Leben.
    »Du weißt also nicht, ob du das Kind behalten sollst?«
    Hannah zuckte mit den Schultern. Sie war die Richterin. Die Verteidigung für das Leben musste allein zurechtkommen. In der Ferne hörte sie einen Hund bellen, und von der Straße unten drangen Kinderstimmen zu ihr nach oben.
    »Wegen dem, was mit Johannes passiert ist?«
    Wieder dieses Schulterzucken. Wie konnte sie sich in diesen Prozess einmischen? Sie war doch die Richterin. Und Richter blieben doch neutral und sagten nichts. Andererseits musste sie auch die Rolle des Staatsanwalts übernehmen und die Zeugen der Verteidigung befragen. Jetzt. Bis der Staatsanwalt seine eigenen Zeugen aufrief, dann musste sie auf die Seite der Verteidigung wechseln. Und irgendwann, wenn alle gesprochen hatten, musste sie sich zurückziehen und ihr Urteil fällen.
    »Hannah?«
    »Natürlich geht es auch um Johannes«, sagte sie schließlich.
    »Du hast Angst davor, dass das Kind das gleiche Leiden entwickelt wie Johannes?«
    »Ja.«
    »Das kann man nicht wissen.«
    »Aber die Veranlagung hat es. Und außerdem bin ich älter geworden.«
    Die Ärztin schwieg. Ein Schweigen, das Hannah nutzte, um die richtigen Worte zu finden:
    »Physische Krankheiten …«, begann sie. »Deformationen, all die Krankheiten, die wir mit dem bloßen Auge sehen können, die …« Sie kam ins Stocken.
    »Es gibt ein Risiko, Hannah. Das gibt es immer. Es wäre falsch von mir, etwas anderes zu

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