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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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er unter die Brücke geschwommen.
    »Ihre Lippe blutet.«
    Niels drehte sich um. Der Fahrradfahrer, der sich dem Mann in den Weg gestellt hatte, sah ihn besorgt an.
    Was hatte der ältere Mann, der aus der Kirche gekommen war, zu dem amerikanischen Pärchen, das nach dem Weg gefragt hatte, gesagt? Die Metro? Follow me – I’m going there myself .
    »Ich brauche Ihr Fahrrad«, flüsterte Niels und wischte sich mit der Hand das Blut von der Lippe.

41.
    Bispebjerg-Klinik – Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie, 16.10 Uhr
    Einer meiner ersten Gedanken war, dass er nicht wie ein Psychia ter aussieht. Sein Vollbart ist zu ungepflegt. Sein Blick zu wenig fokussiert. Allenfalls ein Pädagoge? Oder Lehrer? Auch seine Kleidung war irgendwie seltsam. Zu leger. Zu wenig strukturiert. Und in einer irgendwie komischen Farbkombination. Braune Hose. Rot kariertes Hemd. Seine Stimme ist aber angenehm. Tief und warm, ohne bemerkenswerte Brüche. Ich mag die Monotonie. Aber sie ist auch ein Hindernis, denn sie lenkt mich vom Zuhören ab, lullt mich in meine Gedanken ein. Wie jetzt, als er sagt:
    »Es macht nichts, dass du nicht redest, Silke. Das möchte ich gleich klarstellen. Viele Menschen auf der ganzen Welt reden viel zu viel.« Er lächelt. Humor ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften, das habe ich längst verstanden. »Du hast dich in dir selbst verschlossen, und das Wichtigste ist, dass es dir da drinnen gut geht. Denn nur wenn es dir gut geht, kannst du die Kraft finden, wieder aus dir herauszukommen. Eines Tages, wenn es dir passt.«
    Es ist jedes Mal das Gleiche. Er will mich nicht unter Druck setzen. Will nicht den Eindruck erwecken, dass ich etwas falsch mache. Er arbeitet an meinem Selbstvertrauen, ist überzeugt davon, dass es einen Knacks bekommen hat. Aber auch da irrt er sich. Er versteht es nicht. Keiner versteht es.
    Ich weiß genau, dass sie glauben, dass ich an einer posttrauma tischen Belastungsstörung leide. Das hat er Papa gesagt. Eine Belastungsstörung, bedingt durch den Schock über den Tod meiner Mutter, die dann chronisch geworden ist. Mein Schweigen ist ein Sonderfall, dessen bin ich mir bewusst. Weil es schon so lange andauert.
    »Verstehst du, was ich meine, Silke?«
    Er fährt fort. Die Stille ist nicht gerade seine Stärke. Ich beginne, den Raum um mich herum zu beschreiben. In meinem Kopf. Minutiös. Alles muss mit. Die Büroklammer auf dem Tisch. Das Bild von dem Jungen, bestimmt der Sohn des Psychiaters. Der Rahmen aus rötlichem Holz. Der Tisch ist eigentlich viel zu groß für das kleine Büro, und nach meinem Geschmack sollte er drüben am Fenster stehen, da würde das Licht besser genutzt. An den Wänden hängen Plakate mit Blumen. Monet? Fröhliche Far ben. Optimismus. Ein Computer, ein Drucker, Telefone. Die an tike Uhr hinter ihm passt nicht zu dem sonstigen Interieur. Ich bin jetzt schon 22 Minuten hier. 22 Minuten, die für nichts und niemanden gut sind. Abgesehen davon, dass es mich amüsiert, hier zu sein. Zu sehen, wie seine ernsten, grauen Augen mich mustern. Ich mag seinen Blick. Irgendwie beruhigt er mich.
    »Wir wissen ja, dass in deinem Kopf eine ganze Menge Dinge vorgehen, Silke. Wir sind nicht dumm.« Er grinst. Wieder ein Versuch, mich aufzutauen. »Du bist hier. Direkt bei mir. Das weiß ich ganz genau.«
    Ich sehe an die hellgrünen Wände, auf den weißen Linoleumboden. Und auf das Mobile, das an der Decke hängt, mit lauter bekannten Zeichentrickfiguren: Donald Duck, Goofy, Popeye, Spiderman, Superman und ein grüner Mann mit dicken Muskeln und schwarzen, struppigen Haaren, dessen Namen ich vergessen habe. Sieht der Schuldige so aus?, frage ich mich plötzlich. Ist er ein Chamäleon, das sein Aussehen ändern kann, wenn es ihm passt? Warum nicht? Gestern war er groß und dünn und dunkelhaarig. Heute ist er grün und muskelbepackt. Vielleicht hat er sich deshalb in all den Jahren vor der Polizei verstecken können?
    »Wenn du nichts sagen willst, muss ich das ja tun«, wieder dieses Lächeln. »Sonst wird es hier drin schrecklich still, das weißt du ja, oder?«
    Und dann beginnt er zu erzählen. Wie immer. Beschreibt zum hundertsten Mal die Situation rund um Mamas Tod. Bis ins kleinste Detail. Er hat Vater einmal erklärt, man müsse mich mit dem konfrontieren, vor dem ich fliehen will. Ich höre nicht zu. Er hat keine Ahnung, wovon er redet. Er kennt mich nicht. Nur Vater kennt mich. Alle anderen sollen sich aus meinem Leben raushalten. Warum kapieren die das

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