Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
angesteckt hatte. Teure Kleider: ein locker sitzendes, weißes Hemd mit einem besonderen Schnitt. Ohne sich damit auszukennen, wusste Niels, dass es modisch war. Ebenso wie die Sonnenbrille und die Schuhe. Ein weiterer Mann trat aus der Kirche und landete spontan in der Lieblingskategorie der Polizei: alleinstehender Mann mittleren Alters. Die Ampel wurde grün, und Niels schlenderte über die Straße auf die Kirche zu, wobei er darauf achtete, den Blick gesenkt zu halten, um nicht aufzufallen. Ihm entging aber nicht, dass die beiden Männer sich noch einen letzten Blick zuwarfen. Wem sollte er folgen? Dem jungen oder dem älteren Mann, der direkt vor ihm war? 185 cm groß, durchschnittlicher Körperbau . Niels kannte die Beschreibung. Und ihren Wert. Im Grunde war das nämlich keine echte Beschreibung, sondern bloß ein Code der Polizei, der auf alle zutraf. Früher waren es einmal 180 cm gewesen, doch im Einklang mit der gestiegenen Durchschnittsgröße waren daraus schließlich 185 cm geworden. Aber trotzdem, die Beschreibung passte am ehesten auf den jüngeren Mann.
»Excuse me?«
Ein älteres amerikanisches Paar hatte sich zwischen ihn und den Mann geschoben. Niels hörte sie nach der Metro fragen. Im gleichen Moment sah der Mann sich um und erblickte Niels.
Misstrauen. Niels sah das an seinem Blick. Hatte er ihn doch zu lange angesehen? Der junge Mann drehte sich wieder um und beschleunigte seine Schritte. Er lief in Richtung Brücke. Niels folgte ihm. Der Mann drehte sich noch einmal um, und dieses Mal tat Niels nichts, um sein Interesse zu verbergen. Im gleichen Moment rannte der Verdächtige los. Er überquerte die Straße, stürmte an der Bank vorbei und auf die Brücke. Niels blieb auf der anderen Seite der Brücke – die Zeit, die er eingespart hatte, weil er die Straße nicht überquert hatte, hatte ihn aufholen las sen. Er war jetzt auf gleicher Höhe mit dem Mann. Aber der Mann war schnell und ein halbes Leben jünger als er. Niels brauchte Hilfe, wollte er Erfolg haben. Er zog seinen Polizeiausweis heraus und brüllte: »Polizei Kopenhagen.« Und noch einmal: »Polizei Kopenhagen – Sie sind festgenommen.«
Weiter vorne auf der Brücke hielt eine Gruppe Banker inne und drehte sich um. Der junge Mann blieb plötzlich stehen. Er sah zu Niels und dann zu den jungen Männern vor sich. Würden sie ihn aufhalten?
Ohne auf sein Telefon zu blicken, drückte Niels eine Nummer, während er so laut brüllte, dass sogar die Fahrradfahrer anhielten: »Polizei! Sie sind festgenommen! Runter auf den Boden!«
Im gleichen Moment stürmte der Mann los. Er wurde immer schneller.
»Einsatzzentrale«, kam es aus dem Telefon.
»Bentzon, Morddezernat. Ich brauche Unterstützung auf der Knippelsbrücke. Ich verfolge einen Mann mit Sonnenbrille und Baseballcap in Richtungs Christianshavn.« Niels keuchte so, dass er die Antwort nicht hörte. Die fünf Bankleute wollten gerne etwas für die Ordnungsmacht tun, aber der Mut schwand ihnen im letzten Moment, als der Mann noch im Laufen nach ihnen schlug. Niels überquerte die Straße, ein Auto bremste scharf hinter ihm, und er wischte sich den Schweiß aus den Augen.
»Polizei Kopenhagen. Anhalten!«, rief er wieder. Dieses Mal wirkte es. Ein Fahrradfahrer stellte sich dem flüchtenden Mann in den Weg, damit Niels aufholen konnte. Er streckte seinen Arm aus und bekam das Handgelenk des Mannes zu fassen, aber er befreite sich geschmeidig und trat nach Niels. Die Banker waren jetzt aber auch wieder zur Stelle. Sie wollten ihre Schwäche nicht auf sich sitzen lassen und zu Hause nicht erzählen müssen, dass sie es nicht geschafft hatten, ein Kerlchen mit einer Baseballcap aufzuhalten, obwohl die Polizei sie darum gebeten hatte.
Niels war wieder auf den Beinen und sah gerade noch, wie der junge Mann einen Schritt zurücktrat, auf das Brückengeländer zustürmte und mit einem eleganten Satz darüber hinwegsprang.
Der Verkehr stand still, sodass man das Platschen hören konnte, als er in das Hafenwasser sprang. Wie alle anderen rannte auch Niels ans Geländer. Er hätte ihm nachspringen sollen.
… springe auch ich, Dicte .
Ich bin ein guter Schwimmer, dachte Niels, aber seine Hände klammerten sich an das schmiedeeiserne Geländer und wollten nicht loslassen. Jetzt spring schon.
In der Ferne hörte er Sirenen, und direkt hinter ihm fragte jemand: »Sind Sie okay?«
Wer war das?
»Kann ich Ihnen helfen?«
Unten im Wasser war der Mann nicht zu sehen, vermutlich war
Weitere Kostenlose Bücher