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Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A. J. Kazinski
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War das jetzt der Moment für ihr letztes Argument?, fragte sie sich. Nein, es ging gar nicht mehr um Argumente, sondern um Gefühle. Die Verteidigung musste an die Gefühle appellieren.
    »Sollen wir uns für den Tod oder für das Leben entscheiden?«, fragte sie. »Sollen zwei neue Leben geboren werden? Menschen mit Hoffnungen, Träumen und Sehnsüchten. Menschen, die viel leicht eines Tages Großes vollbringen werden. Oder sollen wir einen Doppelmord begehen? So lautet die Frage. Das ist die Essenz dieses Verfahrens. Mehr habe ich nicht zu sagen!«

47.
    Das Königliche Ballett, 18.00 Uhr
    Niels hörte nur den zweiten Teil des Satzes. Vielleicht weil der Ballettmeister so leise gesprochen hatte. Oder weil er sich nicht gegen die überwältigende Musik aus dem Orchestergraben wehren konnte. »Nehmen Sie Platz, wo Sie wollen.«
    Niels sah sich um. Er ignorierte Balkone, Königsloge und Kronleuchter – all das Rote, Glänzende – und konzentrierte sich einzig auf die Menschen. Die Männer. Er zählte zwanzig Leute in den vordersten Reihen. Wer sagte, dass derjenige, der Dictes Adrenalin geholt hatte, nicht unter ihnen war? Entweder war er auf dieser Seite des Vorhangs oder auf der anderen. Auf jeden Fall innerhalb dieser Mauern. Sie hatten vereinbart, dass der Ballettmeister nach Ende der Probe alle Tänzer versammelte. Im Moment war aber nur einer auf der Bühne. Seine Bewegungen wa ren ohne jede Scham. Zweifelsohne zeitgemäß. Wie man es heute machte, bestimmt gehörte das zur Vorstellung. Ja. Alle Augen waren auf die Bühne und den einzelnen Tänzer gerichtet, die Musik leitete ihn, so leise sie in diesem Moment auch war. Im gleichen Moment wendete er sich mit einer einfachen, traurigen Bewegung um, bevor er lautlos zu Boden fiel. Die PR -Mitarbei terin drehte sich um und gab Niels die Hand. »Man darf bei einer Probe ruhig flüstern«, sagte sie leise.
    Wie war noch mal ihr Name? Ida?
    Auf der Bühne hatte der Tänzer sich langsam wieder aufgerichtet. Erst jetzt bemerkte Niels seine Kleider. Das Hemd. Die Weste. Eine graue Hose mit Bügelfalten. Wie ein Banker. Er sah aus wie einer der jungen Männer, die Niels vor Kurzem auf der Knippelsbrücke hatten helfen wollen. Würde Niels in der Lage sein, den Mann an seinen Bewegungen zu erkennen? An der Art, wie er über die Brücke gelaufen war?
    Lange Schritte . Geschmeidige Bewegungen, die gleichzeitig aber maskulin waren. Nicht wie der auf der Bühne. Der hatte etwas Elegantes.
    Während die Musik im Einklang mit dem Tänzer auflebte, wurde die Bühne immer heller. Ein schwaches blaues Licht ließ einen Friedhof erkennen. Einen endlosen Friedhof – so sah es aus dem Saal jedenfalls aus. Gleichförmige Grabsteine. Rechtecke, die aus dem Boden ragten. Was hatte Lea gesagt? Dass es Giselle war, die Dicte umgebracht hatte? Niels beugte sich vor.
    »Wo hat Thorvaldsen gesessen, als er starb?«, fragte er.
    Ida sah überrascht aus. Beeindruckt?
    »Die Antwort muss ich Ihnen schuldig bleiben.«
    Der Ballettmeister hatte sich in die erste Reihe gesetzt. Neben ihm saß ein Mann, der sich ständig umdrehte, aufstand und sich wieder hinsetzte. Sein Hemd hing über der Hose, und seine Nerven lagen sichtlich blank, das sah man seinem manischen Blick an. Er war in etwa so groß wie der Mann, der Niels auf der Brücke entwischt war.
    »Wer ist das?«, flüsterte Niels.
    »Der Regisseur«, antwortete Ida. »Es ist sein Debüt. Er war schon als Assistent bei einer Vielzahl von Aufführungen dabei, aber das ist jetzt das erste Mal, dass er allein die Verantwortung trägt.« Sie beugte sich zu Niels und flüsterte: »Er hat sich oft mit Dicte gestritten.«
    »Warum?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Nicht nur für die Tänzer steht viel auf dem Spiel. Giselle ist auch für ihn eine Chance. Wenn die Auf führung durchfällt – schlechte Kritiken, ausbleibendes Publikum –, kann es lange dauern, bis er wieder eine Chance bekommt, wenn überhaupt. Andernfalls …« Sie dämpfte ihre Stimme. »… steht die Welt ihm offen. Nichts ist so international wie das Ballett. Da braucht es keine Worte. Das verstehen alle.«
    Niels hörte ein Räuspern hinter sich und drehte sich um. Ein älterer Mann hatte seinen Zeigefinger voller Autorität auf seine Lippen gelegt und sah Niels eindringlich an. Rotes Einstecktuch. Weiße Haare. Die Musik wurde dramatisch. Wie in einem Stumm film. Und dann stand sie da. Giselle. Lea Katz. Niels hatte sie nicht kommen sehen. Von dort, wo er stand, sah es

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