Der Schlaf und der Tod: Thriller (German Edition)
die Art, wie er sich bewegt hatte. Aber er war sich fast sicher: Keiner der Männer auf der Aufnahme war der, nach dem er suchte. Erst jetzt sah er den Lastwagen. Vielleicht ein Umzugswagen. Er stand gut zwei Minu ten in der Passage. Beim ersten Durchgang musste er den übersehen haben.
»16.20 Uhr«, sagte Niels zu sich selbst und sah auf die Uhr am unteren Rand des Bildschirms. »Der kommt 16.20 Uhr ins Bild.«
»Ich dachte, Sie suchten nach einem Mann, nicht nach einem verirrten Umzugswagen.«
»Tue ich auch. Aber der verdeckt den Blick auf den oberen Teil des Bürgersteigs.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sehen Sie doch selbst. Von 16.20 Uhr bis 16.24 Uhr, als er wieder verschwindet, war es möglich, ungesehen durch die Passage zu kommen. Wenn er sich hinter dem Wagen gehalten hat, konnte die Kamera ihn nicht einfangen.«
Der Pförtner hatte keine Lust, Niels Recht zu geben. Schließlich nickte er aber doch.
»Für genau vier Minuten waren die Kameras real gesehen außer Kraft gesetzt. Sind wir uns da einig?«
Er schwieg weiter.
»Wenn man den Weg da nehmen würde«, Niels deutete mit dem Zeigefinger auf den Monitor. »Hinter dem Lastwagen, zu wel chem Eingang würde man dann zuerst kommen?«
»Zu dem der Ballettschule.«
»Der liegt auf der anderen Seite der Passage?«
»Ja, aber der ist jetzt nicht offen.«
»Kann er einen Schlüssel gehabt haben? Wenn er hier arbeitet?«
»Das ist nicht ausgeschlossen.«
»Und kann man von da direkt ins Hauptgebäude kommen, ohne noch einmal nach draußen zu müssen? Und ohne hier bei Ihnen vorbeizukommen?«
49.
20.19 Uhr
Die Sonne knallte auf die Mauer des Theaters, an dem ein Riesen plakat von Dicte alle an die Tragödie erinnerte. Niels folgte dem Pförtner aus dem Schatten und über die Straße.
»Dieser Eingang wird nur selten benutzt«, sagte der Pförtner. »Der ist eigentlich nur für die Ballettschule.«
Niels musterte die Treppe und den Bürgersteig. Ging in Höhe der Treppenstufen in die Hocke und fuhr mit den Händen über den alten Marmor. An seinen Fingern klebte Erde. Und noch etwas anderes. War das Feuchtigkeit? Von einem Schuh, der im Wasser gewesen und dann durch die Stadt gelaufen war? Der Hafen lag am Ende der Straße, und diese Stelle war nicht weit von der Brücke entfernt. Das kurze Stückchen hätte selbst ein Kind schwimmen können.
»Haben Sie einen Universalschlüssel?«
Das Zögern des Pförtners sagte alles: Natürlich hatte er den, gab ihn aber nur ungern aus der Hand.
»Ich muss alle Türen öffnen können«, sagte Niels.
Schließlich bekam er ihn mit einem unzufriedenen Brummen und einem müden Blick ausgehändigt.
»Ich finde mich schon selbst zurecht.«
»Sie verlaufen sich, wenn Sie nicht …«
»Danke für Ihre Hilfe.«
Niels schloss die Tür auf und wartete, bis seine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten. Auf dem Linoleum vor ihm waren umrisshafte Schuhabdrücke zu erkennen. Niels fuhr mit dem Finger darüber. Sie waren frisch. Er sollte die Kriminaltechnik zu Hilfe rufen. Es wäre richtig, erst einmal diese Spuren zu sichern. Und vielleicht konnte er Allan aus Amager für eine Gegenüberstellung holen lassen. Andererseits war er so dicht dran.
In wenigen Minuten konnte alles überstanden sein. Dann hätte er ihn, dann könnte er ihn bestrafen.
Niels öffnete die Tür, die von der Treppe ins Erdgeschoss führte. Es roch nach Pausenbroten. Er sah in ein leeres Klassenzimmer. Plakate an den Wänden. Das Alphabet. Licht aus einem offenen Kühlschrank in der Ecke. Niels folgte dem naheliegendsten Weg. Er ging über den Flur nach oben und sah aus dem Fenster des geschlossenen Übergangs, der von der Schule hinüber ins Theater führte. Der Mann war über die Treppe in die Ballettschule gegangen und dann durch den Übergang ins Theater gelaufen, wo er sich unbemerkt seiner nassen Klamotten entledigen und sich unter die anderen mischen konnte. Niels beschleunigte seine Schritte. Der Mörder hatte sich also umgezogen und an der Generalprobe teilgenommen. Und jetzt war er dabei, die Beweise verschwinden zu lassen. Niels sah nach unten in die Passage. Der Pförtner rauchte mit einem der Handwerker eine Zigarette. Niels ging das letzte Stück über die Brücke und erreichte das alte Theatergebäude. Der Niveauunterschied zeugte von der Entwicklung, die das Theater im Laufe der Jahrhunderte gemacht hatte. Zahlreiche Gebäudeteile waren angebaut worden. Sie klebten aneinander wie Legosteine, die nicht ganz
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