Der schlagende Beweis
krampfte sich der Magen zusammen.
»Entschuldigung«, murmelte er.
Der Mann funkelte ihn w ütend an. Als Daniel nicht augenblicklich wegsah, rückte er ihm dicht auf den Leib. »Was glotzt de so, Schlappschwanz?«
»Nix«, antwortete Daniel und betete, dass ihm ein Kampf erspart bliebe.
»Bin ich nix, oder was is?“
Daniel war viele Jahre lang ein zivilisiertes Mitglied der menschlichen Gesellschaft gewesen, doch binnen einer Sekunde war er wieder auf der Stra ße, fünfzehn Jahre alt und hörte im Geiste George, einen Exknacki, der nett zu ihm gewesen war, bis Daniel seine sexuellen Avancen mit einer zerbrochenen Flasche zurückwies. George hatte Daniel mit Geschichten aus dem Kittchen zu verführen versucht, Geschichten, die mit Ratschlägen zum Überleben gespickt waren. Die Ratschläge waren Daniel zupass gekommen, als er damals selbst im Knast landete, und jetzt schössen sie ihm plötzlich wieder durch den Kopf.
»Ich ... ich habe gesagt, dass es mir Leid tut«, entschuldigte sich Daniel noch einmal in einem absichtlich unterwürfigen Ton.
Der Gefangene machte noch einen Schritt auf ihn zu. »Das is nich jenug«, sagte er, und Daniel trat ihm im selben Moment mit aller Kraft auf den Fuß. Als der Mann sich in einer Reflexbewegung vornüber beugte, rammte ihm Daniel energisch einen Ellbogen ins Gesicht. Dem Glatzkopf spritzte Blut aus der Nase. Bevor er sich wieder gefasst hatte, setzte Daniel nach, diesmal gegen die Kehle. Der Mann ging schwer zu Boden, und sein Kopf schlug mit einem hohlen Geräusch auf den Beton auf.
Daniel wollte wissen, ob es noch jemand auf ihn abgesehen hatte, und er drehte sich um. Die meisten Insassen machten einen gro ßen Bogen um den am Boden liegenden Mann und seinen Angreifer, doch zwei Gefangene mit kahl geschorenem Kopf kamen auf Daniel zu. Der eine war ein wenig kleiner als Daniel und hatte den Körperbau eines Gewichthebers. Jedes Mal, wenn er die Hand zur Faust ballte und wieder lockerte, schwoll sein Bizeps an. Der andere war groß und schwammig, doch er hatte Pitbullaugen und riesige H ände.
Daniel wusste, dass er es unm öglich mit zwei Männern aufnehmen konnte, doch er wappnete sich innerlich für den Gewichtheber, als die Skinheads ruckartig stehen blieben. Erst jetzt bemerkte Daniel die vier Hispanos neben ihm. Einer davon war sein Zellengenosse.
»Was is, Bruder?«, fragte Pedro den Gewichtheber. »Aus dem Weg, du Affe!«, antwortete der Mann.
Pedro l ächelte, ohne sich zu rühren. Der Gewichtheber hechtete nach vorn.
»Auseinander!«, rief von der Eingangstür des Aufenthaltsraums her ein Aufseher. Drei Wärter mit Schlagstöcken verliehen seiner Forderung Nachdruck.
»Wir sind noch nich mit dir fertig, du Wichser«, sagte der schwammige Skinhead zu Daniel und spuckte in seiner Richtung auf den Boden. Dann gab er dem Schwergewicht einen Klaps auf den Arm, und die zwei Männer mengten sich unter die anderen Gefangenen.
Ein Aufseher kniete sich hin, um den Bewusstlosen zu untersuchen, der wegen seiner gebrochenen Nase blutverschmiert war.
»Wer war das?«, fragte er streng. Niemand antwortete. »Na schön, das wars dann. Die Freizeit ist für heute zu Ende. Macht, dass ihr in eure Zellen kommt!«
Der Raum leerte sich rasch.
»Danke, Mann«, sagte Daniel, als er und Pedro wieder in ihrer Zelle waren. »Ohne euch war ich jetzt tot.«
Pedro zuckte die Achseln. »Isch kann diese Scheißkerle von Skinheads nun mal nisch riechen.«
»Naja, ich weiß es jedenfalls zu schätzen.“
Pedro l ächelte. »Siehst nisch aus wie ein Schläger, Mann, aber dem Nazibruder hast du ordentlich die Fresse poliert, Alter.«
»Zufallstreffer.«
Pedros L ächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Idiotentreffer.«
Sie mussten beide lachen. Doch Pedros L ächeln wich unvermittelt einer ernsten Miene, und er hielt Daniel einen warnenden Finger entgegen.
»Du passt ab jetzt besser auf deinen Arsch auf. Das sind miese Typen. Ziehn dir das Fell über die Ohren, wenn du sie lässt.«
Daniel nickte. Dann kletterte er auf sein Hochbett. Sobald er sicher war, dass Pedro ihn nicht mehr sehen konnte, gab er seine Selbstkontrolle auf und fing an zu zittern.
VIERUNDZWANZIG
Herb Cross, ein schlanker Afroamerikaner Ende drei ßig, führte Amanda Jaffe eine schmale Treppe hoch zu der im zweiten Stock gelegenen Praxis von Dr. April Fairweather. Fairweather arbeitete über einem Baumarkt in einem Billigmietshaus in der Stark. Das Treppenhaus war schäbig und schlecht beleuchtet, was
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