Der schlagende Beweis
auch für den Flur vor dem Büro der Therapeutin galt.
Herb hatte Amanda auf der Herfahrt das wenige berichtet, das er über Fairweather herausbekommen hatte. Fairweather war nicht vorbestraft. Sie besaß eine einzige Kreditkarte, die sie nie zu hoch belastete. Fairweather bot ihre Dienste als psychologische Beraterin an und nahm einen Doktortitel für sich in Anspruch, war jedoch bei keiner Behörde zugelassen. Andererseits war das auch für ihre Art von New-Age-Therapie nicht erforderlich. Fairweather wohnte in einer billigen Souterrainwohnung in Beaverton, und Herb hatte mit einigen ihrer Nachbarn gesprochen, doch dabei nicht mehr über sie herausgefunden, als dass die Kommunikation über ein gelegentliches Hallo nicht hinausging.
Der Ermittler öffnete eine Holztür mit einem Milchglasfenster. Dahinter befand sich ein kleines Empfangszimmer. Als Amanda die Tür hinter sich schloss, trat eine kleine, unscheinbare Frau in einem abgetragenen grauen Kostüm aus dem Sprechzimmer. Amanda fiel auf, dass Dr. Fairweather nicht viel aus ihrem dunkelblonden Haar machte. Sie konnte auch keinen Schmuck entdecken.
Die Anw ältin kam zu dem Schluss, dass die Psychologin keine Frau war, die sonderlichen Wert auf ihr Äußeres legte.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Fairweather, während sie den Ermittler misstrauisch musterte. Sie wirkte verängstigt, und so trat Amanda vor und lächelte sie an.
»Ich bin Amanda Jaffe, die Anwältin, die Daniel Arnes vertritt. Das ist mein Mitarbeiter, Herb Cross. Falls Sie ein paar Minuten Zeit hätten, würden wir uns gerne mit Ihnen unterhalten.«
Fairweathers Ausdruck wurde streng. »Nein, das kann ich nicht.«
»Ich werde Gelegenheit haben, vor Gericht mit Ihnen zu reden, Dr. Fairweather«, setzte Amanda nach. »Es erspart uns vielleicht ein bisschen Zeit, wenn wir schon hier ein paar Dinge klären.«
»Ich darf nicht mit Ihnen sprechen«, antwortete Fairweather. Sie zog die Schultern hoch, und ihr Blick wanderte unsicher über den Fußboden.
»Hat Ihnen das der Staatsanwalt gesagt? Ich frage nur, weil Sie das Recht haben, nach Belieben mit jedem zu sprechen. Sie würden nichts Falsches machen, wenn Sie mit mir reden.«
»Ich will nicht, und ich möchte, dass Sie meine Praxis verlassen.«
»Okay.« Amanda hielt ihr eine Visitenkarte hin, und Fairweather nahm sie widerstrebend entgegen. »Falls Sie es sich noch anders überlegen, rufen Sie mich an!«
»Ganz schön verklemmt, die Lady«, sagte Herb Cross, kaum dass sie die Tür hinter sich zugemacht hatten.
»Das kann man wohl sagen«, erwiderte Amanda nachdenklich, »Und ich wüsste gar zu gerne, warum.«
Auf dem Weg zur ück zu ihrem Büro zerbrachen sich Amanda und Cross den Kopf darüber, wie sie wohl den Panzer Fairweathers knacken könnten. Als sie ins Wartezimmer der Kanzlei traten, überreichte die Empfangssekretärin Amanda einen kleinen, in Packpapier eingeschlagenen Karton. Für Arnes' Kautionsanhörung war mit dickem Markerstift auf das Papier geschrieben. Ein Absender fehlte.
»Vom Büro des Staatsanwalts kommt das jedenfalls nicht«, sagte Amanda, während sie das Papier aufriss. »Wer hat es denn gebracht?«
»Ein Bote«, sagte die Sekretärin.
»Hat er gesagt, wer es schickt?«
»Nein.«
Die Schachtel war aus festem Karton und hatte keinerlei Kennzeichnung. Amanda machte den Deckel auf. Auch innen suchte sie vergeblich nach einer Notiz. Der Karton enthielt eine Videokassette. Wenig sp äter saßen Herb Cross und Amanda Jaffe im Konferenzzimmer vor einem Abspielgerät. Ein Titel setzte die Anwältin und den Ermittler darüber in Kenntnis, dass es sich bei der Aufnahme um einen Vortrag handelte, den Dr. April Fairweather vor drei Jahren anlässlich einer Konferenz zum Thema Missbrauch gehalten hatte. Auf der Mattscheibe trat ein distinguiert aussehender Herr hinter ein Stehpult und führte Dr. Fairweather mit glühenden Worten der Bewunderung ein. Anschließend trat die Therapeutin ans Pult und begann mit
ihrem Vortrag. Nach wenigen Minuten sahen sich der Detektiv und die Anw ältin erstaunt an.
»Ist das ernst gemeint?«, fragte Cross.
»Das will ich doch hoffen«, antwortete Amanda.
F ÜNFUNDZWANZIG
Am Donnerstagabend konnte Daniel schwer einschlafen. Er musste unentwegt daran denken, was am n ächsten Tag im Aufenthaltsraum passieren würde. Zu seinem Glück war die Kautionsanhörung für den Freitag anberaumt worden, sodass ihm am nächsten Morgen schon früh Handschellen angelegt wurden, bevor er
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