Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
musst wieder zusammengeflickt werden, und das Baby ist schwach! Meine Mutter hat sechs Kinder zur Welt gebracht, und alle waren kerngesund. Bei deiner Mutter waren es sogar sieben. Keine von ihnen ist genäht worden, bei keiner wurde der Ehemann umsein Recht gebracht! Womit muss ich bei dir denn noch rechnen?«, schrie er.
Da die Krankenschwester seinen Ausbruch gehört hatte, warf sie einen Blick ins Zimmer und fragte, ob es mir gut ginge. Argwöhnisch musterte sie meinen Ehemann. Abdel blickte mich durchdringend an, um mich einzuschüchtern. Ich erwiderte, dass alles in Ordnung sei.
»Melden Sie sich auf jeden Fall, wenn Sie mich brauchen«, sagte sie, bevor sie wieder ging.
Mein Ehemann funkelte mich drohend an.
»Du kannst ihr ja erzählen, dass du dich mir verweigerst und dass ich mir mein Recht mit Gewalt verschaffen muss. Dann wirst du ja sehen, ob sie dich unterstützt! Dann wirst du sehen, ob dein Vater noch stolz auf dich ist! Vergiss nicht, dass deine Mutter in ein paar Stunden hier sein wird.«
Damit stapfte er ins Nebenzimmer, um seinen Sohn zu begutachten. Ich nutzte die Pause und dämmerte vor mich hin.
Nachdem Abdel das Baby gesehen hatte, kam er mit meiner Tante zurück, um sich von mir zu verabschieden.
»Gott ist gnädig, meine Tochter«, sagte sie, »denn er hat uns einen Jungen geschenkt! Er hat unsere Gebete erhört! Wir werden morgen mit deiner Mutter wiederkommen. Bestimmt kann sie es kaum erwarten, ihren Enkel zu sehen. Gib ihm ordentlich zu trinken, damit er einmal genauso stark wie sein Vater und sein Großvater wird!«
Ich hatte vergessen, wie man sich fühlt, wenn es einem gut geht. Endlich waren die Schmerzen der Geburt überstanden! Endlich hatte die Angst ein Ende, dass die während meiner Schwangerschaft erlittenen Schläge dem Baby geschadet haben könnten! Jetzt musste ich mir keine Sorgen mehr machen, denn mein Sohn war gesund!
Bis zur nächsten Stillzeit schlief ich tief und fest.
Die Krankenschwester zeigte mir, wie ich mein Babyanzulegen hatte und wie ich es zum Saugen ermuntern konnte. Es wirkte so zerbrechlich, dass ich fürchtete, ich könnte ihm wehtun. Aber schließlich klappte das Stillen, und es lag friedlich an meiner Brust.
Man machte mir klar, wie wichtig die Muttermilch ist, und ich war stolz darauf, dass mir das Stillen so schnell geglückt war. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich wichtig für einen anderen Menschen. Zum ersten Mal war jemand von mir abhängig, und ich war für ihn verantwortlich. Ich fühlte mich diesem zarten Wesen aufs Innigste verbunden. Der Kleine war seines Namens würdig – Amir bedeutet »Prinz«.
Amir lag noch in meinen Armen, als mein Ehemann mit breitem Lächeln ins Zimmer kam. Hätte er sich doch noch etwas mehr Zeit mit seinem nächsten Besuch gelassen!
»Überraschung!«
Meine Mutter tauchte hinter ihm auf und stürzte auf mich zu.
»Danke, mein Liebling, danke!«, wiederholte sie unaufhörlich. »Gott hat meine Bitten erhört. Du bist wunderbar, Samia. Jetzt bist du eine richtige Frau geworden.«
Wir hatten uns über ein Jahr nicht gesehen, aber auch jetzt gab es weder eine Umarmung noch einen Kuss. Sie kümmerte sich ausschließlich um das Baby, das sie in ihre Arme schloss! Sie sprach zu ihm, als sei es bereits ein Erwachsener. Sie fragte den Kleinen, ob er hungrig sei und ob Samia sich gut um ihn gekümmert habe, solange sie noch nicht da war.
Ich erklärte, dass ich gerade beim Stillen gewesen sei und nicht genau wusste, ob er schon genug getrunken habe.
»Du scheinst nicht genug Milch zu haben, um dein Baby ernähren zu können! Deine Brust ist so flach!«
»Das ist ganz normal!«, erwiderte ich selbstsicher. »Die Krankenschwester hat mir erklärt, dass die Milch erst am dritten Tag einschießt. Gib mir mein Baby bitte zurück, damit ich es wieder anlegen kann.«
»Du solltest deiner Mutter mehr Respekt entgegenbringen«, mischte sich drohend mein Ehemann ein. »Sie hat einen weiten Weg auf sich genommen! Hast du ihr nichts anderes zu sagen? Sie braucht sich nicht von dir belehren zu lassen! Immerhin hat sie mehr Erfahrung mit Kindern als du!«
»Beruhige dich, mein lieber Schwiegersohn. Samia ist jung und weiß nicht, was sie sagt. Es ist ihr erstes Kind!«
»Ich werde lernen, wie man sich um sein Baby kümmert, Mama. Du wirst mir zeigen, wie man die Windeln wechselt und wie ich den Kleinen wasche. Er kommt mir so zart vor, dass ich Angst habe, sein Köpfchen anzufassen.«
»Ich glaube, dass du zu jung
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