Der Schleier der Angst - Der Schleier der Angst - Voile de la Peur
sie Entscheidungen treffen, die womöglich schädlich für sie wären. Man hat mir von Jugend an eingeschärft, meinem eigenen Urteil zu misstrauen, sodass ich es vermied, eigene Entscheidungen zu treffen. Noch heute wachsen viele muslimische Mädchen in diesem Gefühl der Unterlegenheit auf und nehmen es als gottgegeben hin. Wenn ausnahmsweise einmal eine muslimische Frau beschließt, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, stellt sie in den Augen konservativer Muslime eine Gefahr dar – nicht nur für ihre Familie, sondern auch für sich selbst.
Nachdem meine Mutter mit meinem Mann gesprochen hatte, kam sie wieder zu mir.
»Welch ein Glück, meine Tochter, dass du einen Mann mit einem so guten Herzen hast! Anders als die meisten Männer, die ihre Frauen schlagen, bereut Abdel sein Tun aufrichtig. Bei unserem Telefongespräch hat er beinahe geweint!«
»Aber, Mama, er hat mich nicht nur geschlagen, er hat mich beinahe umgebracht. Vor diesem Unterschied kannst du doch nicht die Augen verschließen! Warum hast du nicht eingegriffen?«, wagte ich sie immerhin zu fragen. »Ich weiß, dass du meine Schreie gehört hast!«
»Ja, ich habe dich gehört, aber es steht mir nicht zu, mich zwischen einen Mann und seine Frau zu stellen. Das gehört sich nicht bei uns. Wie würde ich dann dastehen?«
»Du würdest dastehen wie eine Mutter, die ganz einfach ihre Tochter verteidigt. Er hätte mich umbringen können.«
»Die Schläge eines Ehemanns haben noch keine Frau umgebracht.«
Damals glaubte ich ihr noch, obwohl mein Körper mir das Gegenteil nahelegte.
»Du bist nicht die erste und nicht die letzte Frau, die von ihrem Ehemann geschlagen wird. Ich wurde geschlagen, meine Mutter wurde geschlagen, ebenso wie meine Schwester und viele andere Frauen, die ich kenne. Keine ist daran gestorben. Ich sage es dir noch einmal: Es ist normal, dass ein Mann seine Frau schlägt, und daran ist nichts Schlechtes. An deiner Stelle wäre ich froh darüber, dass er dich nicht verstoßen hat!«
Ich sollte mich also glücklich schätzen, nur geschlagen, vergewaltigt und erniedrigt worden zu sein! Das Schlimmste wäre gewesen, wenn er mich verstoßen hätte! Was wäre dann mit mir geschehen? Wo hätte ich Zuflucht gefunden? Bei meinen Eltern? Undenkbar! Aber wo dann? Vielleicht mussteich meinem Ehemann am Ende sogar dankbar sein! Mein Leben war ein Teufelskreis! Ich bewegte mich wie ein Hamster in seinem Rad, ohne einen Ausweg zu finden.
Manchmal beschlich mich der Gedanke, dass meine Intelligenz mein Unglück nur noch vergrößerte. Ich war mir meiner Situation zu klar bewusst. Wäre ich ein schlichteres Gemüt gewesen, hätte ich möglicherweise nicht so deutlich empfunden, was für ein fürchterliches Leben mir meine Familie zumutete. Warum taten sie mir das an?
In solche Gedanken versunken, fühlte ich plötzlich, wie meine Mutter mir mit der Hand über die Augen strich.
»Samia, sieh nur, dein Mann hat dir eine Überraschung mitgebracht!«
Mein Mann lächelte. Er hielt einen riesigen Blumenstrauß in den Händen.
»Es tut mir wirklich leid, was ich getan habe«, beteuerte er zerknirscht. »Aber dieses Baby hat mich völlig kopflos gemacht. Und ich habe dich so sehr begehrt! In meinem Kopf ging alles durcheinander, und ich wusste nicht mehr, was ich tat. Ich verspreche dir, dass ich mich das nächste Mal beherrschen werde. Es wäre besser gewesen, ich hätte mich bei dir für den schönen Jungen bedankt, wo doch die meisten meiner Freunde Mädchen bekommen haben. Bitte verzeih mir! Ich verspreche dir, dass ich erst wieder mit dir schlafen werde, wenn alles bei dir ausgeheilt ist.«
Ich traute meinen Ohren nicht!
Meine Mutter ordnete die Blumen in einer Vase, die die Krankenschwester gebracht hatte.
»Die Schwester war völlig sprachlos, als sie den Blumenstrauß sah!«, erklärte sie stolz. »Sie war zutiefst beeindruckt von der Größe! Und ich bin sehr froh, dass sie mitbekommen hat, wie du ihn meiner Tochter geschenkt hast. So können wir ihr zeigen, dass unsere Männer ihren Frauen genauso Blumen schenken wie die Europäer.«
Meine Mutter und mein Mann lachten.
Für diese beiden Komplizen zählte nur der äußere Schein! Auf mich wirkten sie wie zwei Hyänen, die ihre Beute belauerten, um sich bei der kleinsten Regung gemeinsam auf mich zu stürzen.
»Wo ist mein Baby? Ich muss es jetzt stillen, denn meine Brüste schmerzen.«
»Es schläft in seiner Tragetasche. Mein Freund Ali hütet es draußen auf dem Flur«,
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