Der Schlitzer
Fenster an der Südseite auf das Brett fallen konnte. Sie hatte einige Bögen festgeklemmt. Zwei waren leer, einer zeigte Kritzeleien, aber noch keine konstruktive Idee für eine Dosenmilchwerbung. Der Auftraggeber wollte mit Plakaten werben und hatte sie gebeten, sie sehr bunt zu machen, damit die Tristesse des Winters aufgehellt wurde.
Shelly schüttelte den Kopf. Sie würde es nicht schaffen, diese bunten Plakate herzustellen. Nicht jetzt, nicht in ihrer Stimmung, die sich der trüben Jahreszeit angeglichen hatte. Sie glaubte auch nicht, daß sich dies in den nächsten Tagen ändern würde. Zur Not mußte sie den Auftrag zurückgeben.
Vor dem Fenster blieb sie stehen. Der Garten lag im tiefen Schatten einer herbstlichen Dunkelheit. Die Düsternis hatte ihren Weg gefunden, und es gab nichts, was sie hätte aufhalten können. Eine unheimliche Gegend lag vor ihr. Eine Umgebung ohne Licht. Im Garten gab es Lampen, doch nur im Sommer wurden sie angeknipst, um ihr Licht zu verstreuen.
Dabei wäre es auch im Winter nötig gewesen, dachte Shelly, als sie ihre Stirn gegen die Scheibe preßte. Wäre der Garten erleuchtet, dann hätte sie kaum Furcht zu haben brauchen, so aber hatte sie das Gefühl, diesen Garten als Insel der Gefahr zu erleben.
Die Scheibe beschlug durch ihren Atem, und ihre Sicht verschlechterte sich. Es hatte auch für sie keinen Sinn, noch länger vor dem Fenster stehenzubleiben und in den dunklen Garten zu starren. Dadurch machte sie sich nur noch verrückter, regte sich auf, sah in jeder Ecke ihrer Wohnung eine Gefahr oder einen Schatten.
Abrupt drehte sie sich um, ließ das Licht brennen, als sie den Raum verließ, und begab sich in die modern eingerichtete kleine Küche, wo sie sich einen Kaffee machen wollte. Ein kühler Luftzug streifte ihr Gesicht. Es hatte sich kein Geist oder Gespenst Zutritt verschafft, dieser kalte Hauch hatte eine ganz natürliche Ursache. Er wehte durch das Fenster, das schräg stand und von ihr schnell wieder zugedrückt wurde, weil sie es als eine Einladung für fremde Personen ansah.
Drei Löffel Kaffeepulver, die entsprechende Menge Wasser dazu, das alles klappte wie immer. Während die Maschine das Wasser in die Filtertüte rinnen ließ, untersuchte Shelly Wagner die übrigen Räume ihrer Wohnung. Das Schlafzimmer war ebenfalls leer, das Bad und der kleine Wohnraum ebenfalls.
Er hätte normalerweise das Arbeitszimmer sein sollen. Da Shelly jedoch viel Platz und Licht brauchte, hatte sie die beiden Räume eben ausgetauscht. In der offenen Tür blieb sie stehen, und ihr Blick beruhigte sich wieder, als sie sah, daß sich in dem kleinen Zimmer nichts verändert hatte.
Shelly ging wieder zurück in die Küche. Sie schaute den letzten Tropfen zu, die sich mit dem braunen Wasser in der Kanne vereinigten und spürte, daß sich wieder der Klumpen im Magen bildete. Es war das Gefühl der Furcht, das zurückkehrte. Sie wußte nicht, vor wem sie sich fürchtete, möglicherweise sogar vor den nächsten Stunden und damit auch vor der Nacht, die ihr wahrscheinlich doppelt oder dreifach so lang vorkommen würde wie normal. Das war eine tiefe, eine bedrückende Angst, der sie kaum Herr werden konnte. Als sie den Kaffee in eine Tasse goß, da sah sie auch, wie sehr ihre Hände zitterten. Sie rollte den kleinen Metallstuhl hervor und ließ sich auf dem roten Ledersitz nieder. Ihre Augen brannten. Der Dampf des heißen Getränk wehte gegen ihre Wangen. Sie trank den Kaffee in kleinen Schlucken, schlürfte dabei, was ihr nichts ausmachte, es war ja keiner da, der das Geräusch hörte, und sie versuchte dann, Ordnung in ihre Gedanken zu bringen. Shelly überlegte, wie sie die folgende Nacht am besten überstehen konnte.
Wenn sie in ihrer Wohnung blieb, befand sie sich zwar an einem bekannten Platz, aber in den Nachtstunden, das wußte sie, würde der Horror beginnen. Dabei brauchte nicht einmal ein Killer zu erscheinen, es reichte bei ihr allein schon der Verdacht, um sie verrückt werden zu lassen. Sie würde Angst bekommen, sie würde zittern, sie würde Gespenster sehen. Es war der reine Psycho-Terror.
Ihre Gedanken brachen ab und endeten in einem Fluch, denn sie hatte durch einen heftigen Zitteranfall Kaffee verschüttet. Shelly stellte die Tasse ab und stöhnte auf. Es geht schon los, dachte sie. Verdammt noch mal, es geht rund, und jetzt schließt sich der Kreis. Wenn ich jetzt schon nervös werde, wie soll das erst in der nahen Zukunft werden?
Auf der Tischplatte breitete
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