Der Schluss-Mach-Pakt
Elektrogeschäft, in dem Molly und Corrie verschwunden waren, befand sich ein Kartenladen, in dessen Schaufenster ein Schild hing. Es erinnerte die Passanten an den bevorstehenden Muttertag in ein paar Wochen.
Die leuchtenden Farben zogen mich an, und so ging ich in den Laden, in dem es nach Blumen duftete. Ich schlenderte durch die Gänge, spazierte an Regalen voll bescheuerter Rosen aus Kristall und Teddybären mit Herzen vorbei, auf denen » I LUV U! « stand. Als ich um eine Ecke bog, waren da endlich die Kartenregale mit einer riesigen Auswahl an Muttertagskarten. Mein Blick glitt über die vielen schmalzigen Texte, doch nichts gefiel mir. Wo waren denn die Karten für die Mütter, die abgehauen waren und ihre Familien im Stich gelassen hatten?
Eine vertraute Stimme im Gang nebenan erweckte meine Aufmerksamkeit, daher lugte ich über das Kartenregal und entdeckte Hannahs dunkelbraunen Haarschopf. Sie stand mit dem Rücken zu mir und betrachtete soeben ein Regal voller Muttertagsgeschenke, während eine Verkäuferin ihr das eine oder andere Teil zeigte.
»Wie wäre es hiermit?«, fragte die Verkäuferin und griff nach einer wunderschönen Blume, die in eine Glaskugel eingelassen war.
Hannah würdigte das Ding kaum eines Blickes. »Nein, meine Mutter meint immer, Lilien sind die Rosen der armen Leute.« Sie stieß einen lang gezogenen Seufzer aus und betrachtete den Rest der Auslage. »Da ist nichts Passendes dabei.«
Die Verkäuferin wirkte frustriert. Hannah hatte vermutlich auch schon alles andere im Laden abgelehnt. »Vielleicht möchten Sie sich mal unseren Katalog ansehen? Möglicherweise werden Sie dort fündig und wir könnten das dann für Sie bestellen.«
»Meine Mutter bestellt nie irgendwas aus Katalogen«, meinte Hannah schnippisch. Sie glättete die Vorderseite ihrer Bluse. »Tut mir leid. Ich will ja nicht unhöflich erscheinen, aber Sie kennen meine Mutter nicht.«
Ich kannte Mrs Cohen, oder zumindest hatte ich sie gekannt, als Hannah und ich noch klein gewesen waren. Schon bevor die Cohens auf der sozialen Leiter aufgestiegen und reich geworden waren, hatte sie immer nur das Beste vom Besten gewollt. »Das Bild, das man nach außen hin abgibt, ist alles, was die Leute über einen wissen müssen«, hatte sie Hannah und mir immer erklärt, wobei sie die obersten Küchenschränke geschrubbt hatte, den Teil, den man eh nie zu sehen bekam. »Da kann das Leben noch so aus dem Ruder laufen – solange man den Eindruck macht, man habe alles unter Kontrolle, hat man auch alles unter Kontrolle.«
Wieder strich Hannah eine Falte in ihrer Bluse glatt, als könnte sie das Echo der Worte ihrer Mutter ebenso hören w ie ich. Das war so eine Angewohnheit von ihr, die sie scho n immer hatte – automatisch zu überprüfen, ob an ihrem Erscheinungsbild auch alles in Ordnung war. Ich nahm an, dass ihr noch nicht mal klar war, wie oft sie das tat.
»Wenn ich meiner Mutter ein Muttertagsgeschenk machen will, dann muss es perfekt sein«, erklärte Hannah der Verkäuferin.
»Ich bin mir sicher, Ihre Mutter wird alles toll finden, was Sie ihr schenken«, erwiderte die Verkäuferin freundlich, wobei sie Hannah ein breites Lächeln schenkte.
Doch Hannahs Schultern spannten sich an und dann seufzte sie erneut. »Im Ernst, nichts in diesem Laden ist gut genug. Das meine ich nicht böse.«
»Vielleicht sollten Sie es dann mal im Annabelles versuchen?«, schlug die Frau vor. Dabei handelte es sich um eine echt stinkteure Boutique ein paar Blocks von hier.
In dem Moment drehte Hannah sich um, und ich trat schnell einen Schritt zurück, damit sie mich nicht sah. Ich schlüpfte um die Ecke und stieß dabei rücklings mit jemandem hinter mir zusammen, der ein gedämpftes »Uff!« ausstieß.
Ich wirbelte herum und stand meinem eigenen Bruder gegenüber.
»Was tust du denn hier?«, fragten wir beide gleichzeitig.
»Nichts«, sagten wir ebenfalls im Chor.
Ian stand vor dem Regal mit den Kristallrosen, die Hände tief in den Taschen vergraben und das Gesicht rot wie eine Tomate. Er sah aus, als hätte ich ihn auf frischer Tat ertappt bei etwas, weswegen er sich schämen müsste.
Ich kniff die Augen zusammen. »Im Ernst, was hast du hier zu suchen?«
Ian zuckte mit den Schultern. »Nichts. Ich kaufe ein.«
»Seit wann kaufst du denn in Leilas Kartenladen ein?«, fragte ich.
»Seit wann tust du das denn?«
»Ich kaufe gar nicht ein. Ich warte nur auf Molly und ihre Mom. Die sind drüben im Elektromarkt.«
»Tja,
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