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Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)

Titel: Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jón Kalman Stefánsson
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wie unter Strom und erleuchtet die Welt? Der Vogel singt, der Wurm lockert die Erde, damit das Leben nicht erstickt, aber du fluchst auf Montage und Dienstage, und die Gelegenheiten werden immer weniger, dein inneres Silber läuft an.
    Wir starben oder hörten bloß auf zu leben, verwandelten uns in unsichtbare Schattenwesen, unsere Knochen verrotten in der Erde. Jahre sind vergangen und Jahrzehnte, keiner weiß mehr von uns. Nicht einmal die Raben merken etwas, schwarz und krächzend fliegen sie durch uns hindurch, ohne etwas davon zu bemerken, und es ist kein Vergnügen, wenn ein großer, schwarzer Vogel durch dich hindurchfliegt und nichts zurücklässt als ein heiseres Krächzen. Wir sind eine Täuschung, ein Missverständnis, Fliegen, zwischen den Welten gefangen. Anfangs haben wir Genugtuung in beißendem Sarkasmus gesucht; nicht viel nährt den Menschen so sehr wie seine Bitterkeit, nährt und nagt und zerreibt ihn; dann haben wir Linderung in Gehässigkeiten über dein Leben gesucht, deine Fehler, über das, was du verpasst, über deine ewigen Niederlagen gegen Lust und Begier. Bitterkeit und Gehässigkeit sind der Auswurf des Teufels. Irgendwann einmal erzählen wir dir, was passiert ist, wie wir es geschafft haben, diesen Auswurf abzuwaschen, wir werden es erzählen, sobald sich ein Spalt auftut zwischen dir und uns, vielleicht eine Täuschung, aber durch diesen Spalt wispern wir dir Gedichte und Geschichten zu, Freude und Enttäuschung, Hoffnung und Verzweiflung.

Die Reise:
Wenn der Teufel irgendetwas erschaffen
haben sollte in dieser Welt,
abgesehen vom Geld, dann ist es
ein Schneesturm im Hochgebirge

I
     
    Worte taugen kaum, um den Wind hier zu beschreiben. Von Marta bekamen Jens und der Junge eine Schaufel, damit befreien sie das Boot vom Schnee, und der Wind pfeift ihnen um die Ohren. Nordwind, und alles ist weiß, sogar das Meer sieht weiß aus, alles bis auf die Felsbänder in den Bergen und die Schatten unter Jens’ Augen. Sie schweigen, die drei Posttaschen liegen im Schnee, jede zwanzig Kilo schwer, zumeist Zeitungen, Alþingistíðindi und einige Briefe. Helga hat ihnen ordentlich Proviant mitgegeben. Du trägst die Verantwortung für ihn, hat sie zu Jens gesagt, nimm Rücksicht auf das Wetter, stolpert mir nicht in Werweißwas hinein!
    Jens hockte dumpf über seiner Hafergrütze, es war kaum ein Wort aus ihm herauszubekommen. Als ihm mitgeteilt wurde, dass der Junge ihn begleiten sollte, sagte er wenig dazu, nickte bloß, und damit war die Sache ausdiskutiert.
    Sie schaufeln. Der Schnee häuft sich dick auf dem Boot. Marta steht auf halbem Weg zwischen Haus und Boot und sieht zu.
    Vielleicht bekommt ihr gutes Wetter, hat Helga gesagt, als sie sich im Vorbau ankleideten: Hosen und lederne Überhosen, zwei dicke Pullover, Jens einen Schneeanorak, der Junge eine Lederjacke, zwei Paar Wollstrümpfe und neue Stiefel aus Tryggvis Laden. Jens öffnete die Tür, kaum Wind, die Wolken hellgrau und wenig Bewegung, Kolbeinn trat nach draußen auf den Absatz und zog schnuppernd die Luft ein. Gutes Wetter, von wegen, sagte er und ging ins Haus zurück. Sieh nur zu, dass du wieder zurückkommst, um den Othello zu beenden, sagte er zu dem Jungen.
    Sie waren noch nicht in der nächsten Straße, als sich der Wind in Erinnerung brachte, als hätte er auf sie gewartet, und er hatte schon kräftig aufgefrischt, als sie das Sodom erreichten.
    Sie schaufeln, das Gesicht des Jungen fühlt sich schon steif an, aber Jens lässt sich nichts anmerken, vielleicht kann ihm nichts etwas anhaben, so abgehärtet wie er ist durch die vielen Jahre, durch die Stürme und alles andere, was er durchgemacht hat. Jenseits des schmalen Sunds, den sie bloß die Rinne nennen, ragt das Kirkjufell auf. Sein Schatten kann hier unten als schwere Last zu spüren sein. Der Berg ist etwa drei Kilometer breit, sie werden ihn noch vermissen, wenn sie aus seinem Windschutz heraus sind und auf das ungeschützte Djúp hinausrudern müssen.
    Marta hat sich näher ans Haus gestellt, wo der Wind nicht so beharrlich pfeift. Ihr ist kalt, obwohl sie den dicken Mantel trägt, den ihr ein ausländischer Matrose im letzten Herbst geschenkt hat. Sie stellen das Schaufeln ein, aber es dauert noch, bis sie das Boot freibekommen, es ist am Boden festgefroren, als wolle es nicht vom Fleck. Ein Boot ist es ja nicht einmal, sondern bloß ein kleiner Kahn, der Junge erschrickt, als er sieht, wie klein er ist. Jens schleudert die drei Posttaschen hinein, das

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