Der Schmerz der Engel: Roman (German Edition)
Haus. Wenn sein Herr nicht so ernst guckte, würde er bestimmt bellen. Es ist vermutlich schwer auszuhalten, wenn man nicht bellen darf. Der Hund springt zur Seite und nimmt ein paar Schnauzen voll Schnee, um sich wieder zu beruhigen. Der Bauer bleibt vor einer weißen Erhebung stehen, streckt den Arm aus, und wie durch Zauberei öffnet sich vor ihnen ein dunkler Gang.
Bist du vom Verborgenen Volk, murmelt Jens, seine Worte klingen so matt vor Kälte, dass sie kaum zu verstehen sind.
Der Gang ist schmal, und Jens muss ihn ohne Stütze zurücklegen. Er schafft es, aber als sie das Kochhaus erreichen, sinkt er zu Boden und bleibt einfach liegen.
Die Posttaschen, ist von ihm zu hören.
Hole … sie, antwortet der Bauer und wirft der Frau, die in der Küche steht, einen Blick zu. Sie nickt und scheint alles zu begreifen. Es ist ziemlich düster in dem Kochhaus und eng für drei Personen, erst recht, als sich die Frau vor den Herd aus geschichteten Steinplatten kniet und anfängt, in die Glut zu blasen, um das Feuer wieder zum Leben zu erwecken. Die Herdsteine sind noch warm von der Zubereitung des Abendessens.
Wir sind in recht ungünstiges Wetter gekommen, sagt der Junge und tritt näher an den Herd, näher ans Leben.
Ja, sagt die Frau und blickt kurz auf, sonst wärt ihr kaum hier. Er sieht nicht gut aus, ist er nass geworden? Sie sieht Jens an, dann den Jungen.
Unser Boot wäre fast gekentert, Jens wurde ins Wasser geschleudert. Das ist nämlich Jens, erläutert er und zeigt mit dem Kopf auf den Briefträger.
Die Frau mustert Jens und bläst dann weiter in die Glut.
Der Junge lehnt sich an die Wand und hört darin undeutliche Geräusche, sicher Mäuse, es gibt viele Löcher zwischen den Steinen, und einige von ihnen eignen sich gut, um kleine Dinge darin aufzubewahren oder um die Milchzähne der Kinder aufzunehmen, damit ihnen ein langes Leben gewährt wird. Er lehnt sich an die Wand und sieht zu, wie sich die Frau um das Feuer kümmert. Hier am Ende der Welt wissen die Frauen im Schlaf, wie man Feuer macht, viele hundert Jahre lang haben sie sich tagtäglich darum gekümmert. Draußen in der Welt haben bedeutende Menschen Überlegungen zu Gott und den Menschen und dem All angestellt, sie haben Planeten entdeckt und Verse gedichtet, Kaiser, Könige und Generäle haben das Leben um sich herum in Schutt und Asche gelegt, und so hat die Weltgeschichte ihre Höhen und Tiefen erlebt, sind Jahre zu Jahrhunderten geworden, und die ganze Zeit hindurch sind hier am Ende der Welt Frauen in aller Frühe aufgestanden, um vor dem Herd niederzuknien und in die Asche zu pusten, in der sie am Vorabend sorgfältig die Glut verbargen. Das Feuer morgens wieder richtig in Gang zu bekommen, kann dauern, sie pusten, bis ihnen der Schweiß ausbricht, pusten und geben nicht auf, denn was ist das Leben ohne Feuer bei dieser Kälte ringsum? Pusten bis zur Erschöpfung, die Augen brennen, wenn endlich Rauch aufkräuselt und manchmal wieder nach unten wallt und in die Augen schlägt. Der Rauch erlaubt den Frauen, zu weinen. Hier tut weinen gut. Kinder sterben, Träume sterben, der Glanz verblasst und schwindet, und wer nicht weint, wird zu Stein. Sie pusten in die Glut und weinen, weil wir das Feuer von den Toten erwecken können, aber die Menschen nicht.
Der Schein des neu erweckten Feuers beleuchtet das Gesicht der Frau, mager ist es, die Lippen geschwollen und gesprungen, braune Augen, die sie wegen des Qualms ständig zusammenkneifen muss. Das Feuer beleuchtet auch die Nägel im Dachbalken, an ihnen hängen, nahe beim Kamin, wo der Rauch am dichtesten ist, im Herbst und weit in den Winter hinein Bauchseiten in Leinenbeuteln, Räucherwürste und Schinken, jetzt aber ist nichts mehr übrig außer den Nägeln und ein wenig Haut oder Leder am hintersten Haken, aus dem im Frühjahr Schuhe genäht werden sollen. Jens hat zu zittern begonnen. Die Frau schaut wie in Gedanken kurz zu ihm hin, ihre rechte Wange wird vom Feuer beleuchtet, ihre linke liegt im Halbdunkel. Sie ist einerseits blutjung, andererseits dunkel vor Alter. Dann ist es, als besänne sie sich; sie steht auf und beugt sich zu Jens hinab, fährt mit der Hand unter seine gefrorenen Kleider und fühlt die Eiseskälte dort.
Hilf mir, ihn auszuziehen, sagt sie, und Jens widerspricht nicht, als sie ihm die steif gefrorenen Sachen abstreifen. Drei Kindergesichter tauchen auf, sechs Augen, kugelrund vor Staunen.
Zurück ins Bett mit euch, kommandiert die Frau und hat die Kinder
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