Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Kuchen backen können, daran gab es keinen Zweifel.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, als sich auch schon die Tür öffnete und Dad mit zwei überdimensionalen Tragetaschen aus der Bäckerei hereinkam, in denen Frankfurter Kranz für zehn Personen unfallsicher verstaut war. Es gab immer Frankfurter Kranz. Er drückte Anne alles in die Hand, die brav in die Küche marschierte, um den Kuchen auf einem Tablett anzurichten und den Kaffee zu kochen.
Er kam auf Fran zu, reichte ihr die Hand, und in seinen Augen blitzte Wut. Oder war es schon Hass? Sie nahm die Hand, drückte sie und musste die Zähne aufeinanderbeißen, um nicht aufzuschreien, so fest packte ihr Dad zu. Was sollte das denn? Hatten sie nicht einen Burgfrieden an Mamas Geburtstag vereinbart? Er ließ ihre Hand los, aber es war mehr ein Abschütteln. Was hatte sie denn angestellt, dass er sie begrüßte wie einen Schwerverbrecher? Ihr letzter ernsthafter Streit lagmehr als ein Jahr zurück. Damals waren sie aufeinander losgegangen, als er behauptet hatte, Psychologen seien allesamt Scharlatane und ein inbrünstiges Gebet sei allemal besser als das Geschwätz von Leuten, die nur deswegen Psychologie studiert hatten, weil sie mit sich selber nicht klarkamen.
»Hallo Fran.«
Er hätte genauso gut sagen können: »Du bist schuldig, wirst verhaftet, verurteilt und hingerichtet.« So klang es zumindest. Fran spürte ihren Puls im Hals, aber bevor sie etwas erwidern konnte, beugte sich Dad zu Mama und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Anne kam aus der Küche zurück und präsentierte den Kuchen.
»Der Frankfurter Kranz sieht fantastisch aus, Schatz«, sagte Mama, und Frans Haut begann zu kribbeln.
Sie wäre am liebsten fortgelaufen, aber stattdessen ging sie zu Anne, die inzwischen in die Küche zurückgekehrt war. »Weißt du, was mit unserem alten Herrn los ist? Der hat mich begrüßt, als wolle er mich gleich auffressen.«
Anne legte ein paar Stücke Frankfurter Kranz auf die Porzellanplatte, die von ihren Großeltern väterlicherseits stammte und mit Jagdmotiven verziert war.
»Vielleicht bildest du dir auch etwas ein?«
Fran schnappte nach Luft. »Er hat mir fast die Hand zerquetscht.«
»Du weißt doch, dass er manchmal nicht weiß, wohin mit seinen Kräften. Jetzt halt die Luft an und bring die Tassen ins Wohnzimmer.« Sie griff Fran an den Schultern. »Heute hat Mutter Geburtstag, ist das klar? Nichts anderes zählt!«
Fran senkte den Kopf. Wie konnte sie nur so egoistisch sein? Sie schaute Anne in die Augen. »Alles klar, Schwesterherz. Ich werde mir Mühe geben.«
Anne drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. »Und jetzt ab marsch-marsch. Wir sind brave Töchter! Die Show kann beginnen!«
Anne hatte gut reden. Sie war im Nest geblieben, bis sie nach Köln auf die Hochschule für Musik und Tanz gegangen war. Sie hatte es vortrefflich verstanden, die brave Tochter zu mimen und gleichzeitig ein wahres Lotterleben zu führen. Zumindest hätte Dad es so bezeichnet, hätte er gewusst, dass Anne innerhalb eines Jahres mit deutlich mehr Männern im Bett gewesen war, als es Monate gab. Und bis heute gab Anne Fran die Schuld, dass sie sich so lange nicht hatte von ihren Eltern lösen können, weil sie einfach abgehauen war und sie allein zurückgelassen hatte, ihren Eltern schutzlos ausgeliefert.
Fran deckte den Tisch, mit vereinten Kräften hievten sie ihre Mutter, die sich anfühlte wie ein Sack Mehl, in einen Sessel.
Der Frankfurter Kranz war ein Genuss, und insgeheim musste Fran zugeben, dass Mutter ihn nicht besser hätte machen können.
Fran schaffte es zu schweigen. Mama, Dad und Anne redeten über allerlei Unverfängliches, übers Wetter, den Urlaub und die neuesten Kinofilme, nur nicht über Politik, Religion oder Frans und Dads Beruf. Das war klug, denn an diesen Themen entzündete sich regelmäßig Streit.
Fran vermied, so gut es ging, Blickkontakt mit ihrem Vater, aber wenn es dazu kam, loderte nach wie vor Feuer in seinen Augen auf. Sie musste ihn darauf ansprechen, nachher, wenn sie das Abendessen zubereiteten. Unter einem Vorwand würde sie ihn in die Küche locken und dann zur Rede stellen.
*
Ich habe Kristin gesagt, dass ich noch einen Spaziergang machen will, weil mich den ganzen Tag die Leute genervt haben. Der Mob, die Masse ist ein träges Ungeheuer, das immer nur irgendetwas in sich hineinstopft, um es wieder auszuscheiden. Hineinstopfen, ausscheiden, so verbringen die Menschen ihr Leben. Das ist so
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