Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)

Titel: Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Conrath
Vom Netzwerk:
immer beneiden.
    Anne war sieben Jahre jünger als sie und schön wie ein Engel, mit ihren blonden Locken, den Lippen, die an rote Früchte erinnerten, und den strahlend blauen Augen. Fran war das Ebenbild ihres Vaters, zumindest was die Gesichtszüge anging. Sie und Anne wurden meistens gar nicht als Schwestern erkannt, so unterschiedliche Typen waren sie.
    »Du siehst unglaublich gut aus, Schwesterherz«, sagte Fran und verneigte sich leicht.
    »Du aber auch!«, gab Anne fast trotzig zurück.
    Mit der Zeit hatte Fran es geschafft, dass sich Anne für ihre Schönheit nicht mehr schämte, aber ein Rest schlechtes Gewissen war geblieben, eingeimpft von ihrer Mutter und ihrem Vater, die beide Schönheit als Eitelkeit und Eitelkeit als Todsünde verdammten. Sie hatten Annes Haare immer kurz gehalten, ihr furchtbare Kleider angezogen.
    »Wenn man von den Ringen unter meinen Augen absieht und den Zotteln, die eigentlich mein Haupthaar sein sollen, und den Krähenfüßen, die sich langsam in meine Augenwinkel graben   …«
    Anne zwickte sie in die rechte Wange. »Wir müssen dringend mal die Stadt unsicher machen und ein paar süße Kerle abschleppen, so wie du klingst.«
    Fran war überrascht. »Was ist mit David?«
    Anne winkte ab. »Eintagsfliege. Der hat keine zwei Tage, nachdem wir das erste Mal miteinander im Bett waren, angefangen, mir den Plan zu machen. Da habe ich ihn achtkantig rausgeworfen.« Sie kicherte. »Der war so platt, der hat kein Wort mehr gesagt. Und du?«
    »Fehlanzeige. Niemand in Sicht.« Fran überlegte einen Moment. Es war nicht nur niemand in Sicht, sie hatte absolut keine Ambitionen. Im Moment ging es ihr wunderbar, sie vermisste bis auf ein paar Streicheleinheiten nichts, und niemand trampelte ihr auf den Nerven herum. Na ja, vielleicht gab es doch jemanden   – aber das musste Anne nicht wissen, sonst hätte sie womöglich sofort zwei Bahntickets nach Hamburg gebucht.
    »Na wunderbar! Am Samstag?«
    Fran hob abwehrend die Hände. »Immer mit der Ruhe. Ich glaube, ich bin nicht so richtig in Stimmung.« Jetzt musste siedas Thema wechseln, sonst würde Anne so lange bohren, bis sie nachgäbe und sie ihrer Schwester am nächsten Wochenende beim Anbaggern zusehen, oder noch schlimmer, ständig irgendwelche aufdringlichen Männer abwimmeln müsste. »Wo ist Mama?«
    Annes Augen verdunkelten sich. »Ihr geht es nicht so gut.«
    Sie drehte sich um. Fran folgte ihr ins Wohnzimmer und musste schlucken. Ihre Mutter lag unter einem Berg Decken auf der Couch, auf der Fran schon als Kind gelegen hatte, wenn sie krank gewesen war. Ihre Augen lagen tief in den Höhlen, die Gesichtshaut spannte sich wie ein Trommelfell über den Schädel.
    Fran kniete sich hin, legte ihr Geschenk auf den Beistelltisch, auf dem schon einige bunte Päckchen lagen, und nahm ihre Hand.
    »Mama, was ist denn los?«
    Ihre Mutter lächelte. »Halb so schlimm, mein Kind. Nur eine Magen-Darm-Grippe. Das geht vorbei, auch wenn ich heute aussehe wie ein Zombie.«
    Fran umarmte sie und flüsterte ihr ins Ohr: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Mama. Ist mit dir und Dad alles in Ordnung?«
    »Was soll denn nicht in Ordnung sein, mein Kind?« Ihre Stimme klang brüchig.
    »Ist er anständig zu dir?«
    »Aber ja.« Ihre Lider flatterten.
    Fran wusste genau, wann ihre Mutter log. Dad war acht Jahre älter als Mama und kam aus einer deutsch-amerikanischen Familie, die nach der christlichen Scharia lebte, eine Familie, in der die Frauen die Untertanen der Männer zu sein hatten. Mit sechzehn war Fran das erste Mal abgehauen, viel zu spät eigentlich. An ihrem achtzehnten Geburtstag war sieausgezogen, um Punkt null Uhr nachts, und hatte sich zwei Jahre lang nicht mehr gemeldet.
    Fran erhob sich und strich ihrer Mutter über die Haare. Sie wurde heute dreiundfünfzig, aber sie sah zehn Jahre älter aus. Vater war einundsechzig, und er hatte schon immer zehn Jahre älter ausgesehen; allerdings schien er in den letzten Jahren noch schneller zu altern. Wo war er überhaupt?
    »Wo ist Dad?«, fragte Fran.
    »Er holt den Kuchen, wir hatten vorbestellt, Mama konnte ja nicht backen«, erwiderte Anne.
    Fran verzog das Gesicht. Nichts konnte diesen Haushalt besser beschreiben als das Kuchenproblem. Eher würde eine ganze Kamelherde durch ein Nadelöhr gehen, als dass ihr Vater, der ehrenwerte Dorfbulle von Gottes Gnaden James Miller, einen Kuchen backen würde. Der Mann, den Fran vielleicht irgendwann einmal in ihr Leben lassen würde, musste

Weitere Kostenlose Bücher