Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Sie richtig Ärger. Dann wird Ihre Stelle als erste den Sparanstrengungen von Hartbäcker zum Opfer fallen.« Fellmis kniff die Augen zusammen.
Jetzt war das Gespräch endgültig beendet, Fran schlich zurück in ihr Büro und wünschte sich nichts sehnlicher, als selbst Chef zu sein. Sie würde aus dieser Abteilung etwas anderes machen: eine hocheffiziente, international vernetzte Agenturfür Täterprofile. Gegen Bezahlung. Aber daraus würde nichts werden, solange Fellmis den Chefsessel okkupierte. Vielleicht sollte sie über den perfekten Mord nachdenken?
Fran grinste, fuhr den Rechner hoch, öffnete den Ordner »Akte Friedrich von Solderwein« und fand mehrere Unterordner, die allesamt gegen Mitternacht angelegt worden waren. Brave Christine. Obwohl sie bis in die Nacht an den Akten gearbeitet hatte, würde sie dafür keine Anerkennung bekommen, im Gegenteil, Überstunden waren genehmigungspflichtig, und Fellmis genehmigte grundsätzlich keine Überstunden. Also leisteten alle einen Großteil ihrer Arbeit in der Freizeit – ohne jeglichen Ausgleich. Ein geschickter Schachzug von Fellmis. Eines Tages aber würde sie merken, dass die Strategie »Sollen sie mich hassen, solange sie mich fürchten« in eine Sackgasse führen würde. Bis dahin würde noch viel Schmutz den Rhein hinunterfließen, aber wenn es einmal drauf ankommen sollte, würde das Team nicht hinter Fellmis stehen.
Fran studierte die Dokumente. Es gab nichts Neues, ein Bekennerschreiben fehlte nach wie vor, und sie glaubte nicht, dass sich das ändern würde. Sie zweifelte nicht daran, dass auf dem Friedhof eine schwarze Messe gefeiert worden war, die Preisfrage war: von wem und warum?
Routinemäßig überflog sie ihre RSS -Feeds, Nachrichten, die sie zu den unterschiedlichsten Themen rund um Religion und Gesellschaft abonniert hatte, Meldungen über Gott und die Welt. Radikale Salafisten machten Schlagzeilen, weil sie wieder einmal öffentlich Korane verteilten und jedem offenbarten, dass die Hölle allen sicher sei, die nicht nach dem Koran lebten. Eine Sektenbeauftragte regte sich darüber auf, dass die Menschen die christlichen Werte nicht mehr achteten, ein evangelischer Pfarrer bedauerte, dass die Ökumene in Deutschland unter dem derzeitigen Papst eher zurückgingdenn ausgebaut würde. Das war in der Tat eine bedenkliche Entwicklung. Fran dachte an die Worte des Papstes, dass Glaube nicht verhandelbar sei. Genau das war das Fundament für jede Form des Fundamentalismus und letztlich des Fanatismus. Ein Sozialarbeiter beklagte die frei zugängliche Darstellung von Gewalt im Internet in Bild und Ton. Es gebe immer mehr Videos von Prügeleien, und oft wisse man nicht mehr, was echt ist und was nicht. Sogar Folterszenen kursierten in den einschlägigen Foren, unterlegt mit Schreien, die so echt klängen, dass es einem den Magen umdrehe. Fran seufzte. Es gab nach wie vor keine direkten Zusammenhänge zwischen Gewaltvideos und der Verrohung von Jugendlichen. Wenn junge Menschen gewalttätig wurden, dann lagen die Ursachen viel weiter zurück. Endlich fand sie eine positive Nachricht: Der interreligiöse Dialog machte Fortschritte, viele Menschen unterschiedlichster Religionsanschauungen trafen sich zum Austausch und zum Feiern.
Fran spürte einen Kloß im Hals. Frieden zwischen den Religionen, Frieden zwischen den Menschen – wie sollte das funktionieren, wenn schon in den Familien Krieg herrschte? Sie korrigierte sich. In ihrer Familie. Hatte sie selbst den Krieg vom Zaun gebrochen? Gab es einen Weg, sich mit ihrem Vater zu versöhnen? Nicht, solange er sie als missratene Tochter behandelte, als Ausgeburt des Bösen. Nicht, solange sie der seelische Mülleimer für seine Probleme war.
Die Lösung war so einfach: Sie würde auf die Familientreffen verzichten, auch wenn es Mutter wehtun würde. Das hätte sie schon längst machen sollen. Die Entscheidung fühlte sich gut an. Nie wieder diese verkrampften Zusammenkünfte; nie wieder so viel essen müssen, dass ihr der Magen fast platzte; nie wieder jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie würde Mama als Entschuldigung für den verkorksten Geburtstag einen riesigen Blumenstrauß bringen und ihr erklären, warum sie sich so entschieden hatte.
Sie schaute auf die Uhr. Ein paar Fragebögen würde sie noch bearbeiten und sich dann unauffällig aus dem Staub machen, um Ägidius Bonaventura zu besuchen. Sie nahm den nächsten Bogen vom Stapel, aber sie konnte sich nicht konzentrieren.
Das
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