Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
schlechtes Gewissen hatte den Zorn einfach aufgefressen.
Solig schien erleichtert. »Glauben Sie mir, der kommt nicht ungeschoren davon. So eine Scheiße auch. Das ist nicht mein Stil.«
Fran sah ihm kurz in die Augen, verzichtete darauf, ihm zu sagen, dass das, was er als seinen Stil bezeichnete, einfach nur zum Kotzen war, und wandte sich Senior zu, der dastand und den Kopf schüttelte. Der Notarzt kniete über Lars Rüttgen und klammerte die Platzwunde am Kopf.
»Er muss ins Krankenhaus«, sagte der Mann müde und erhob sich. »Mit Polizeibegleitung, nehme ich an?«
Seniors Kopfbewegung verwandelte sich in ein Nicken. »Ja, aber kein SEK . Wir nehmen unsere Leute, damit der Junge eine Chance hat zu überleben.«
Der Notarzt hob die Augenbrauen. »Hoffen wir das Beste.« Er stand auf, dirigierte die Sanitäter, die Rüttgen auf eine Bahre hoben und in den Rettungswagen schafften.
»Rickelbrock!«, rief Senior.
Ein Polizeihauptkommissar drehte sich um. »Was gibt’s?«
»Sei so gut und kümmer dich um Lars Rüttgen.«
Rickelbrock nickte, zeigte auf vier Kollegen, die in ihre Dienstwagen stiegen und den Rettungswagen in die Mitte nahmen.
Fran schaute ihnen misstrauisch hinterher.
»Wenn Rickelbrock das macht, brennt nichts an, Fran. Er ist ein echt guter Mann. Der hätte ihn alleine hierhergebracht, ohne ihn einmal anzufassen, davon kannst du ausgehen.«
»Lass uns hochgehen«, sagte Fran. »Wir müssen ein paar Dinge klären.«
»Das müssen wir«, bestätigte Senior.
Das Chaos auf dem Hof lichtete sich, aber Fran ließ sich nicht die Gelegenheit entgehen, einen blutigen Tupfer, an dem Rüttgens Blut klebte, mitzunehmen. Das ganze Verfahren war jetzt ausgebremst, jeder Amateuranwalt würde ihnen die Hölle heißmachen; bis sie einen Beschluss hatten, um Rüttgens DNS zu nehmen, konnte zu viel Zeit vergehen. Johanna Magold hatte jede Menge Gewebe unter ihren langen Fingernägeln gehabt, und Lars Rüttgens Gesicht zierten drei blutige Striemen. Stimmte die DNA überein, war Rüttgen so gut wie fällig für die U-Haft, und der Fall würde eine klare Richtung nehmen.
Senior zog die Tür hinter sich zu, sein Büro war wirklich lächerlich eng, die Möbel sahen aus wie Überbleibsel aus der DDR .
Fran ließ sich in den Rohrsessel fallen, der vor einem abgrundtief hässlichen Glastisch stand, Senior sank in seinen Chefsessel, den er selbst bezahlt hatte.
»Böhrerjan wird zum Risiko«, stellte Fran fest. »Wie befürchtet.«
Senior ließ den Kopf hängen. So deprimiert hatte sie ihn schon lange nicht mehr gesehen.
»Ich habe mit Solig geredet. Der Einsatz war von Mario Hartbäcker gedeckt.«
»Aber …« Fran fehlten die Worte.
»Ich finde das auch beschissen. Das war völlig überzogen. Aber was sollen wir tun? Staub aufwirbeln? Die sitzen am längeren Hebel. Und wir können nichts beweisen. Wie wird das in der Öffentlichkeit dargestellt? Rüttgen hat versucht zu fliehen, hat einen Beamten angegriffen und verletzt, er musste stillgelegt werden.« Er hob eine Hand. »Deine oder meine Aussage wird gegen alle anderen stehen, das ist dir doch klar?«
»Ist das hier immer so? Willkür? Lügen? Betrug?«
»Nein, im Gegenteil. Normalerweise kommen wir vor lauter Regelwerk, das wir peinlich befolgen müssen, nicht vorwärts. Aber Böhrerjan ist persönlich betroffen, er und große Teile des Apparats reagieren emotional, und er fordert jetzt alle Gefallen ein, die ihm die Leute schulden. Und das dürften nicht wenige sein.«
Fran fiel nichts mehr ein. Während ihrer drei Jahre in Uniform hatte sie Fehlverhalten gesehen, weil den Kolleginnen und Kollegen manchmal wegen der Überlastung einfach die Nerven durchgingen. Ihr war das auch passiert: Sie hatte nach zwölf Stunden Dienst einen Junkie, der seine Frau verprügelt hatte, unsanft festgenommen, und nur weil die Kollegen weggesehen hatten, hatte sie kein Disziplinarverfahren bekommen. So etwas war ihr nie wieder passiert. Aber diese offene Form des Machtmissbrauchs war ihr Gott sei Dank nicht untergekommen. Die Frage hieß nach wie vor: entweder – oder. Blieb sie dabei, musste sie mitspielen. Klinkte sie sich aus, war die Möglichkeit, sich zu profilieren, für sie unwiederbringlich verloren. Sie dachte an den blutigen Tupfer. Sie zog die Plastiktüte hervor und hielt sie hoch. »Weißt du was, Senior? Was die können, können wir schon lange!«
*
Die letzte Nacht war zu viel. Scheiß Nutte. Die hat mir echt den Rest gegeben. Schon am Weiher
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