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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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übernachteten.
    Bei einem dieser Besuche erzählte Mandy von ihren Zukunftsplänen. »Friedenswächterin« wolle sie werden, sagte sie und fügte hinzu, es sei gar nicht so einfach, in die Militärhochschule aufgenommen zu werden, aber für Frauen sei es inzwischen leichter, wegen der Antidiskriminierungsmaßnahmen. Sie blickte zu Boden, während sie sprach, als überlegte sie laut vor sich hin, nur ab und zu sah sie zu mir herüber, als hätte sie sich eben erst wieder an mich erinnert. Dieses In-sich-Gekehrte, auch wenn sie sprach, gehörte jetzt untrennbar zu ihr, seit jener Sommernacht. Mandy, die früher so sicher gewesen, so souverän aufgetreten war, sprach, wenn überhaupt, nur noch leise und wich Blickkontakten meist aus. Auch ihre Körperhaltung hatte sich verändert – sie hielt den Kopf gesenkt, sie schlich fast durchs Zimmer, und sie trug weite, unelegante Kleidung, die zwar ihre Hüften und Brüste verbarg, aber weder ihre außergewöhnliche Schönheit auslöschte, die sie von Natur aus besaß, noch die Muskeln versteckte, die sie sich durch ganzjähriges Schwimmen – sommers im See, winters im Hallenbad – zugelegt hatte. Heute würde ich sagen, sie war im Stadium der Larve, hatte sich in diesen Kleidern verpuppt und versteckte sich hinter der unterschwelligen Wut, die in ihrer Haltung und Miene zum Ausdruck kam.
    Ich wollte wissen, was diese »Antidiskriminierungsmaßnahmen« seien, von denen ich zum ersten Mal hörte, und sie antwortete, es gehe dabei um gezielte Förderung von Mädchen und Frauen, die ermutigt werden sollten, sich beruflich so zu verwirklichen, wie es ihnen früher oft verwehrt gewesen sei. Die Kurse im Suchen und Retten seien erst der Anfang, sagte sie. In ihrer Bewerbung würden sie einen guten Eindruck machen, obwohl sie ohnehin sehr gute Noten zu erwarten habe. Ihre Mutter werde mit ihrem Plan schon allein deswegen einverstanden sein, weil sie in der Offiziersausbildung mit lauter gut aussehenden, intelligenten jungen Männern aus gutem Haus zusammenkäme, die ja seit jeher die Hallen dieser altehrwürdigen Institution füllten. Mandy selbst wollte davon natürlich nichts wissen: Selbstverständlich werde sie diese jungen Männer in jeder Etappe der Ausbildung überflügeln, abhängen, ausmanövrieren. Sie werde eifriger lernen und härter trainieren. Sie habe mehr Bücher gelesen, als sich irgendwer vorstellen könne, und dann krempelte sie den Ärmel auf und zeigte mir ihren kleinen, festen Bizeps. Sie wundere sich, dass ich noch nicht über meine Zukunft nachgedacht hätte, und dass ich von der gezielten Frauenförderung nichts wisse, schockiere sie ein biss chen. Du bist doch die Städterin, sagte sie und sah mir zum ersten Mal in die Augen, und ich dachte – denke immer noch – , dass sie damit sagen wollte, allein dieser Umstand, das Leben in der Stadt, müsse einem doch den Anschluss an ein reicheres und damit behaglicheres Leben garantieren. Ich sah mich in meinem Zimmer um. Es war der Ort, an dem ich mich zu der Zeit am häufigsten aufhielt. Die Stadt war zu einem fernen Summen abgesunken, dem leisen Geräusch der Welt, die ohne mich weiterging.
    Während Mandy redete, hatte ich dauernd das Bild vor Augen, wie sie in einer langen Reihe von Helfern über die Felder ihrer Farm wandert, dichte hohe Gräser zur Seite biegt und nach ihrem Vater sucht, ihn zuletzt auch findet und rettet. Dann stellte ich mir vor, wie sie zwischen ihren Eltern Frieden stiftet, aber ich sah nur das Ergebnis: Welcher Weg zu Letzterem – oder auch zu Ersterem – führen sollte, sah ich nie so recht. Aber auch was ihre künftige Rolle beim Militär sein sollte, wurde nicht klar, zumindest mir nicht. Abgesehen vom Widerhall, den das kurze Zwischenspiel ihres Vaters auf dem Marinestützpunkt Halifax gehabt hatte, gab es nichts handfest Militärisches in ihrer Umgebung – oder in meiner.
    Was ist mit deinen Gedichten, fragte ich – sie hatte ja, wie sie mir einmal anvertraute, immer Gedichte zu schreiben versucht und zu dem Zweck geheime Notizbücher geführt. Und dann natürlich ihre vielen Bücher: Auf ihrem Nachttisch lag jetzt ein Band von einem gewissen William Carlos Williams, und ich weiß noch, dass ich mich über den Namen wunderte – ein Carlos, der mir mexikanisch vorkam, in der Umklammerung zweier Williams.
    Suchen und Retten ist das Thema für Lyrik, sagte sie, mit enormem Weitblick, wie ich heute sehe. Nimm es als Metapher.
    Ich meine, ich dachte, du wolltest an der

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