Der Schmetterlingsthron
schimpfte Jorian ärgerlich aus.
»Er ist eifersüchtig«, sagte der Waffenschmied schließlich. »Ihr solltet am besten nach draußen gehen und Vanora helfen. Ich will jetzt einen kleinen Zauber in den Schwertgriff legen und würde das gern allein tun.«
Nun verbrachte Jorian einige Zeit mit Holzhacken, Wasserholen, Teigkneten und Unkrautjäten, ohne dem Mädchen mehr als ein paar Worte abzuringen. Er versuchte es mit Schmeichelei und Geschichtenerzählen:
»Hast du schon einmal von dem Ringkampf zwischen König Fusas von Kortoli und seinem Zwillingsbruder Fusor gehört? Dieser König, weißt du, war ein großer Athlet. König Fusas wollte nun anlässlich des fünfhundertsten Bestehens der Polis eine große Feier abhalten. Natürlich stimmte das nicht ganz, denn es gab da eine Lücke in der schönen Geschichte, in der Ardyman der Schreckliche von Govannian alle Zwölf Städte unter seiner Herrschaft vereinigt hatte; aber die Kortolianer hielten es für angebracht, diese Pause zu ignorieren, und wer kann ihnen das verdenken?
Da er selbst ein kräftiger Mann war, dachte König Fusas daran, am Höhepunkt der Feier sein Volk zu erfreuen – durch einen athletischen Kampf zwischen ihm und einem anderen Mann. Der Lieblingssport des Königs war das Ringen. Aber es gab da ein Problem. Der König hielt es für seiner Würde abträglich, bei einem solchen öffentlichen Kampf besiegt zu werden. Wenn sein Gegner andererseits freiwillig unterlag, mochte das zu Gerede führen und ihm ebenfalls nicht zur Ehre gereichen. Auch konnte sich der König nicht gegen einen viel kleineren Mann aufstellen lassen, damit ihm der Sieg sicher war. Die Gefahr, verhöhnt zu werden, war allzu groß.
König Fusas beriet sich mit seinem Weisen, dem Zauberer Thorynx. Und der erinnerte Fusas daran, dass er ja einen Zwillingsbruder Fusor habe, der im südlichen Kortoli ein friedliches Leben führte. Und wirklich friedlich – denn als Bruder, der um eine Viertelstunde jünger war, hatte er keinen Ehrgeiz auf den Thron, was nur gut für ihn war.
Thorynx führte aus, Fusor und Fusas seien ja eineiige Zwillinge und daher ein ideales Ringkämpferpaar, wenn auch Fusor in besserer körperlicher Verfassung sein mochte, da er immerhin die ganze Zeit im Freien lebte und keine Papiere zu unterschreiben und keine Bankette mitzumachen hatte. Er könne nach Kortoli gebracht werden und dort mit Fusas ringen. Beide sollten identisch gekleidet sein, so dass die Zuschauer sie nicht auseinander halten konnten. Wer auch gewann, es sollte verkündet werden, dass König Fusas der Sieger sei, und wer konnte etwas dagegen sagen?
Und so wurde es gemacht. Einen Monat vor dem Fest wurde Prinz Fusor in den Palast geholt und auf das Fest vorbereitet. Und als die Feier ihren Höhepunkt erreichte, rollten der König und sein Bruder auf der Matte herum. Und schließlich legte einer der beiden den Bruder auf die Matte und wurde als König Fusas zum Sieger erklärt.
Aber kaum waren die beiden in den Palast zurückgekehrt und waren außer Sicht der Zuschauer, als ein schrecklicher Streit ausbrach, der viel Fäusteschütteln und finstere Drohungen mit sich brachte. Jeder der beiden Männer, Sieger wie Verlierer, behauptete König Fusas zu sein, und da beide identisch aussahen und die gleichen purpurnen Lendentücher trugen, ließ sich nicht so einfach entscheiden, wer die Wahrheit sprach.
Zuerst versuchte der Kanzler sie getrennt über die Geschäfte des Königreichs auszufragen. Aber die Antworten fielen von beiden Männern zufrieden stellend aus. Wie es sich herausstellte, hatte Fusor – welcher von den beiden er auch war – seinen Monat im Palast gut genutzt, um sich mit den Staatsgeschäften vertraut zu machen.
Vom Kanzler um Rat gebeten, sagte Thorynx schließlich: ›Ich kann die Frage klären. Jeder der beiden soll auf einem Stück Papier einen Bericht über sein letztes Zusammensein mit Königin Zeldé verfassen, mit allen Einzelheiten. Dann soll sich die Königin beide Schriftstücke ansehen und sagen, welches der wahre König ist.‹
So geschah es. Die Königin sah die beiden Berichte durch und erklärte, der eine sei der wahre und der andere falsch. So wurde der zum wahren König Erklärte zum Thron geführt, während der andere, der noch immer aufgebracht den Titel beanspruchte, wegen Hochverrat seinen Kopf verlor.
Das wäre das Ende der Sache gewesen, wenn nicht viele Jahre später, als der König längst tot war, die greise Königin Zeldé auf dem Sterbebette
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