Der Schneider himmlischer Hosen
Natascha blühten.
Es ist mir unklar, was die Urheber dieses Briefes eigentlich erreichen wollten. Aber die anonyme Verschwörung brachte mich zur Erkenntnis, wie notwendig es war, nicht etwa Kuniang augenblicklich den Verkehr mit Elisalex und deren Hausleuten zu verbieten, sondern mich selbst mehr als bisher um sie zu kümmern. Wenngleich ich nur die Verantwortung für ihr Essen und Quartier trug, hätte ich doch mehr Interesse an ihr nehmen müssen. Übrigens war mir auch aufgefallen, daß sie oft schäbige Kleider trug, die nicht für ihr Alter paßten. War das ausschließlich eine Geldfrage? Chinesische Bahnen lassen ihre Angestellten oft auf das Gehalt warten. Sollte ich da nicht Eingreifen?
Ich beschloß, von nun an mit Kuniang zu essen. Wenn wir einander oft und regelmäßig sahen, fand ich vielleicht Mittel und Wege, ihr manches zu erleichtern. So benützte ich die erste Gelegenheit, Um ihr zu sagen, daß ich nicht länger allein sein und Gesellschaft haben wolle. Ob sie bereit sei, mir bei den Mahlzeiten die Zeit zu vertreiben? Sie nahm mit sichtlicher Freude an, und noch am selben Abend saßen wir miteinander bei Tisch. Es war die erste gemeinsame Mahlzeit in all den Jahren, die Kuniang bei mir verbracht hatte. Onkel Podger nahm auch daran teil.
Kuniang erschien knapp vor acht Uhr im Arbeitszimmer, in einer Toilette, die man am ehesten als «ehemaliges Abendkleid» bezeichnen kann. Die Ärmel mochten einmal lang gewesen sein, reichten aber nur mehr bis zum Ellbogen, und der Rock war lächerlich eng und kurz, obwohl man ihn sichtlich verlängert und erweitert hatte. Der Stoff — blauer Marocain — ließ die Änderungen deutlich erkennen, und zwar durch Unterschiede in der Farbe: ein Teil war verschossen, der andere nicht.
Kuniang hatte mir gegenüber niemals Schüchternheit gekannt, auch nicht als kleines Kind. An diesem Abend war sie entzückend aufgeregt. Ihre Augen glänzten; das Haar schimmerte im Licht der Lampen; der Halbmond auf ihrer Stirn glühte auf, verschwamm und erglühte aufs neue, während Unvergleichliche Tugend und sein Gefolge uns mit gewohnt lautloser Würde bedienten. Es wäre mir nicht verwunderlich erschienen, hätte Kuniang die Erbsen mit dem Messer gegessen und Wasser aus den Fingerschalen getrunken. Aber trotz der Freundschaft mit den Russen und trotz den häufigen Eßstäbchenmahlzeiten in Gesellschaft des Kleinen Lu verfügte sie über tadellose Eßmanieren. Es war eine reine Freude, sie so vor mir zu sehen und zu wissen, daß es nie mehr anders sein würde.
Wir sprachen — natürlich — von Elisalex.
«Ich habe noch nie eine wirkliche Freundin gehabt, der man alles erzählen und die man alles fragen kann. Elisalex ist schrecklich nett und versteht mich so gut. Ich erzähle ihr jeden Unsinn, der mir durch den Kopf geht. Aber Natascha ist furchtbar eifersüchtig. Sie ärgern sich übrigens alle, weil Elisalex mich lieber hat als sie. Nur Fjodor kennt keine Eifersucht.»
«Dafür ist sie auch sehr nett zu ihm. Sie hat sich doch von ihm malen lassen — ohne etwas anzuziehen.»
«Ja. Und jetzt will er mich malen — im gleichen Kostüm.»
«So ein Lausbub.»
«Ich hab auch wenig Lust dazu. Aber ich kann schwer nein sagen, nachdem Elisalex ja gesagt hat. Sie haben mich doch schon alle ohne Kleider gesehen, im letzten Sommer, als wir im Bassin badeten.»
«Das ist schließlich etwas anderes, und ich sehe keinen Grund, warum man dich nicht anders behandeln sollte als Elisalex.»
«Man kann nicht gut immer mit Leuten beisammen sein und dann erwarten, daß sie einen auf einmal anders behandeln. Das ergibt nur Unannehmlichkeiten. Elisalex behandelt mich anders, und alle ärgern sich darüber. Aber es nützt nichts. Weißt du, sie haben nämlich Angst vor ihr, ich aber nicht.»
«Angst? Sie ist doch ihr Gast? Warum sollten sie Angst vor ihr haben?»
«Das weiß ich nicht. Aber wenn sie wütend wird, traut sich nicht einmal Fjodor, ihr ins Gesicht zu sehen.»
«Bildest du dir das alles nicht bloß ein?»
«Keine Spur. Gestern wollte Patuschka Natascha eine Teekanne an den Kopf werfen, traf aber Elisalex. Sie sprang auf, mit funkelnden Augen und wutbebenden Nüstern. Sie sagte kein Wort, aber in der nächsten Sekunde sind alle vor ihr auf dem Boden gelegen. Ich weiß nicht, was sie redeten, aber es klang wie ein Winseln um Gnade.»
«Mir scheint, das hast du dir nur erfunden.»
«So einen Unsinn könnte ich gar nicht erfinden. Sie haben sich bestimmt maßlos geärgert,
Weitere Kostenlose Bücher